Wenn die Grünen regieren

Aufmerksam machen möchte ich auf ein Gedankenexperiment von Ulrich Schulte in der taz am Wochenende 23. / 24.01.2021. Es trägt den Titel:

Wenn die Grünen regieren

Passend zu diesem Titel bringt die taz als Aufmacher auf der ersten Seite ein großformatiges Bild von Armin Laschet, unterlegt mit der Frage: Kann er Vizekanzler?

Schulte folgt vielleicht einem eigenen Kandidatinnenwunsch, wenn er zunächst fragt, was sich mit einer grünen Kanzlerin ab 2021 ändern würde. Und er kommt, ganz und gar nicht überraschend zu dem Schluss, dass vieles beim Alten bleiben würde. Das ginge im Wesentlichen auf das Konto des Koalitionspartners (CDU), der viele Vorhaben blockieren würde, angefangen von der Einführung der Grundsicherung und der Vermögenssteuer bis zur Abschaffung des Ehegattensplittings. Aber auch die Grünen wollen bei „Maß und Mitte“ bleiben. Als größten Stolz der fiktiven Regierung weist Schulte die Erhöhung des CO2-Preises auf 70 € pro Tonne Kohlendioxid aus.

Eine grüne Kanzlerin ist möglich

Im Folgenden zählt Schulte einige Gründe auf, weshalb eine grüne Kanzlerschaft durchaus keine Fiktion bleiben muss. Diese sind:

  • Da Angela Merkel abtritt, fällt der Amtsbonus der Kanzlerschaft weg
  • Die Grünen sind für viele Wähler*innen der bürgerlichen Mitte attraktiv, weil sie ökoaffin sind und wenig radikal auftreten.
  • Das Wahlverhalten vieler Wähler*innen ist flüchtig wie schon lange nicht mehr. Immer mehr Menschen akzeptieren, dass die Klimakrise die große Menschheitsaufgabe im 21. Jahrhundert ist. Den Grünen traut man am ehesten zu, effektiv und engagiert an dieser Aufgabe zu arbeiten.
  • Das Beispiel der Autoindustrie zeigt, dass die Wirtschaft nun endlich zu verstehen scheint, dass sie auf neue Technologien setzen muss, wenn sie wettbewerbtauglich bleiben will. Klimaschutz wird zum ökonomischen Marktvorteil.

Der intellektuelle Vorsprung der Grünen

  • Die Grünen haben schon früh Themen diskutiert, die jetzt bedeutsam werden, z. B. die Bedeutung von Vielfalt für die Gesellschaft und die CEO der großen Konzerne.
  • Sie versuchen die Geschichte einer guten Zukunft zu erzählen, hinter der sich das gesamte Bürgertum von konservativ bis linksliberal versammeln kann. Die Sprache dafür haben sie gefunden. Diese unterscheidet sich gravierend von der Empörungsrhetorik anderer Parteien.
  • Die Grünen haben z. B. von Obama gelernt: „Den Geist der Veränderung nicht zu einer Frontstellung aufzubauen, sondern zu einem Gemeinschaftswerk …“ (Habeck)
  • Wie Obama gehen die Grünen bei Kompromissbildungen manchmal bis über die Schmerzgrenze hinaus. Das kann man als Schwäche interpretieren oder den Versuch, die Gesellschaft zusammenzuhalten.

Das Dilemma der Grünen

Seit der Club of Rome 1972 die Studie des Ökonomen Dennis Meadows veröffentlicht hat, steht die These im Raum , dass die Menschen nicht immer mehr konsumieren können, ohne den Planeten zu zerstören. Meadows wies nach, dass bei fortschreitendem Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstum die Weltwirtschaft noch vor dem Jahr 2100 (!) kollabieren wird, weil Rohstoffe und Nahrung knapp werden und die Umwelt verwüstet ist.

Die Grünen wollen dem mit grünem Wachstum begegnen. Die Geschichte von der guten Zukunft handelt vom Klimaschutz, aber nicht von Einschränkung und Verzicht. Alle anvisierten Maßnahmen werden jedoch nicht reichen, um den Kipppunkt zu verhindern. Bis heute existiert kein ökonomisches Modell, welches beschreibt, wie eine Gesellschaft, die auf Wachstum verzichtet, die damit einhergehenden Probleme lösen will. Das ist das Dilemma und die Herausforderung.

Für den gesamten Artikel von Schulte, den ich hier nur in den Grundthesen wiedergegeben habe, gebe ich eine klare Leseempfehlung.

Hier der Link zum vollständigen Text:

https://taz.de/Die-Oekopartei-und-die-Macht/!5743776/

Ein Text von Bärbel Falke

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