Der Preis von Erdgas ist heiß

Was ist klüger: Investitionen in ein Atomkraftwerk oder in Photovoltaik-Module?

Emmanuel Macron, frz. Staatspräsident, und Robert Habeck, dt. Minister für Wirtschaft und Klima, unterscheiden sich in dieser Frage – aber wer hat Recht?

Der 2007 begonnene Bau des Druckwasserreaktors (EPR) in Flamanville (Normandie) wird voraussichtlich erst 2023 in Betrieb gehen, wenn die Ausbesserungsarbeiten an den Schweißnähten der Reaktorhülle und der Sekundärkreisläufe im Inneren erfolgreich beendet sein werden: 16 Jahre Bauzeit, deutlich länger als der Berliner Flughafen. Laut französischem Rechnungshof ist mit einer Kostensteigerung von ursprünglich gut 3 auf mindestens 19 Mrd. Euro zu rechnen; 19 Mrd. Euro für einen Atommeiler, der eine Strom-Leistung von ca. 1,6 GW hat. Wenn er während eines Jahres tatsächlich nach Abzug von Revisionszeiten ca. 8.000 Stunden in Betrieb sein wird, hat er ca. 12.800 GWh Strom zentral erarbeitet.

Im Jahr 2022 kann man für 19 Mrd. Euro Photovoltaik-Anlagen mit einer Gesamt-Leistung von 38 GW in Deutschland installieren. Wenn diese Solaranlagen während eines Betriebsjahrs (nur) 1.000 (Sonnenschein-)Stunden lang die volle Leistung erbringen, produzieren sie dezentral 38.000 GWh Sonnenstromenergie.

D. h., bei gleichem Kostenaufwand kann aus einer Solaranlage 3-mal so viel Stromenergie gewonnen werden. Wenn man dann noch bedenkt, dass

  • die Sonne ihre Energie kostenlos zur Verfügung stellt,
  • PV-Felder kaum gewartet werden müssen und eine garantierte Lebensdauer von 20 Jahren haben
  • die PV-Felder in die Nähe zu den Verbraucher*innen gebracht und damit aufwendige Fernleitungen vermieden werden können
  • der Uranabbau sowie das Herstellen von Brennstäben und erst recht das Jahrtausende andauernde, sichere Verstecken des strahlenden Atommülls enorme Geldsummen verschlingen werden,
  • die Atomtechnologie aufgrund ihres unkalkulierbaren Risikos (AKWs selbst sowie „Endlager“) nicht versicherbar ist,
  • AKWs siedlungsferne Räume und damit komplexe Leitungssysteme mit hohen Stromverlusten benötigen,
  • Photovoltaik-Strom in der Herstellung 3-mal klimafreundlicher, weil CO2 ärmer, als Atomstrom ist,

dann weiß man, dass Investitionen in regenerative Energien klüger und nachhaltiger sind.

Man sagt, Frankreich setze auf „billigen“ Atomstrom, Deutschland auf „teuren, grünen“ Strom.

Die Graphik zeigt den unterschiedlichen Strommix in den beiden Ländern. In Frankreich stammen ca. 67 % des Stroms, der in Industrie und Haushalten verbraucht wird, aus Atomkraftwerken. Unter den fossilen Energieträgern, die an die Seite der Atomenergie treten, nimmt Erdgas den größten Teil ein. Strom aus Flusskraftwerken ist im Strommix fast ebenso stark vertreten wie Strom aus Windkraftanlagen an Land. In Deutschland stammen ca. 46 % des Stroms aus regenerativen Quellen; Erdgas und Uran haben bei der Stromproduktion ungefähr gleiche Anteile.

  

           

Vergleicht man im Jahr 2021 den Börsenstrompreis in den beiden Ländern, so fallen gleiche Höhe und fast identischer Verlauf auf. Daraus ist der Schluss zu ziehen, dass der hohe Strompreis Ende 2021 vom Preis des Gas-Imports in beiden Ländern abhängt (s. Graphik oben).

In Frankreich sorgt Atomstrom nicht für einen niedrigen Preis, Strom aus regenerativen Quellen treibt nicht den Strompreis in Deutschland.

Noch bestimmt das letzte Gaskraftwerk den Preis, den wir zu zahlen haben.

Der Strompreis in Deutschland wird zur Zeit heftig diskutiert, vor allem mit dem Ziel, ihn zu senken. Aber an welchen Stellschrauben könnte man überhaupt drehen? Der Strompreis setzt sich grob beschrieben aus drei Komponenten zusammen:

  • Beschaffung und Vertrieb des Stroms durch den Versorger (2021 Anteil 26,3%, mit von der Strombörse beeinflussten Unterschieden)
  • Netznutzung zwischen Kraftwerk und Endverbraucher (2021 Anteil 23,1%, mit starken regionalen Unterschieden)
  • staatlich festgesetzte Anteile wie z. B. Steuern oder EEG-Umlage (2021 50,6%)

Die EEG-Umlage soll im Verlauf des Jahres zu einem Steuer finanzierten Beitrag umgewandelt werden, so dass sie uns nicht mehr direkt im Portemonnaie treffen wird.

Die Beschaffung von Energie an einem Stromhandelsplatz ist offensichtlich die flexible, aber auch kritische Größe, wie man an den Insolvenzen von Billig-Anbietern und dem Umgang von Versorgern mit Alt- und Neukunden in den vergangenen Wochen sehen kann. Wie fast überall in unserer Wirtschaft, bestimmen auch im Energiemarkt Angebot und Nachfrage den Preis. Kraftwerke produzieren ihren Strom sozusagen in einen Topf, aus dem der Gesamtbedarf in einer Region gespeist wird. Produzenten mit niedrigen Grenzkosten (Erstellungskosten für die letzte Megawattstunde) kommen dabei häufiger und intensiver (= wirtschaftlich optimale Stromversorgung) zum Zuge, so dass am Ende der „teuerste“ Anbieter tatsächlich die letzte, insgesamt benötigte Megawattstunde zu seinen Bedingungen liefert (Merit-Order-Modell). Dieses „Grenzkraftwerk“ bestimmt mit seinem Angebotspreis den Börsenpreis des Stroms, von dem dann alle anderen Anbieter ebenfalls profitieren (uniform-pricing, eine Absprache der Stromwirtschaft).

Zur Zeit ist das „Grenzkraftwerk“ ein Gas-Kraftwerk.

Preisgünstiger Strom aus regenerativen Quellen ist die Lösung.

Mit mehr Biomasse, Sonne, Wasser oder Wind als Energieträgern erreichen wir mehrere Vorteile:

  • Wir schieben die Kraftwerke, die Strom aus Atom (fallen Ende dieses Jahres eh weg), Kohle oder Gas produzieren, in der Graphik immer weiter nach rechts, d. h., aus der Preisbildung am Stromhandelsplatz heraus.
  • Nach dem Kohleausstieg benötigen wir dann nur noch fortschrittliche, leicht regelbare Gas-Kraftwerke, die auch grünen Wasserstoff verfeuern können, als Reserve für den Strombedarf, den volatile Kraftwerke mit Energie aus regenerativen Quellen zwischenzeitlich nicht liefern können.
  • Mit 100 % Strom aus regenerativen Quellen bei gleichzeitiger Speicherung der Energie in Batterien oder Wasserstoff wird fossiles Gas aus dem Markt verdrängt. So erreichen wir Klimaneutralität im Sektor Komfort- und Industriestrom.
  • Der Strompreis unterliegt nicht mehr spekulativen Einflüssen, wenn „grüner Strom“ über Steuern (Zertifikate und CO2-Preis) finanziert wird.
  • Wir machen uns unabhängig von Gas-Importen und sind nicht mehr (so) politisch erpressbar.

Wir Pirnaer Bürger*innen haben es in der Hand.

  • Wir können unseren (Energie)Konsum kritisch überprüfen – müssen wir wirklich alles zu jeder Zeit haben bzw. nutzen?
  • Wir holen Informationen bei den Stadtwerken oder anderen Anbietern zum Energieträgermix ein.
  • Wir vergleichen Tarife und wechseln zwischen ihnen bzw. zwischen den Anbietern.
  • Wir beeinflussen unsere Stadträt*innen, so dass Klimaneutralität das Maß bei allen Beschlüssen ist. Das gilt auch für das Geschäftsmodell der Stadtwerke.
  • Wir investieren bei einer Bürgerenergiegenossenschaft in unserer Region, die ein Windkraftwerk oder eine PV-Anlage errichten / betreiben will.
  • Wir investieren in eine PV-Anlage auf dem Dach, an der Hausfassade oder im Freiland, um Autarkie mit einem hohen Anteil an Eigenstrom-Produktion zu erreichen (selbst genutzter Strom ist der billigste).
  • Wir kümmern uns um Quartierslösungen und Mieterpreis-Modelle.
  • Wir können die PV-Anlage auf dem Dach mit einer Wärmepumpe (elektr. Heizung) und / oder einer Wallbox für das Laden eines E-Mobils kombinieren und damit den selbst produzierten Strom besonders effektiv nutzen. Das muss in Zukunft auch in einem Mehrfamilienhaus funktionieren.

Um Pirna voran zu bringen, etwas für Klimaschutz, gegen Hitze, Trockenheit oder Starkregenereignisse zu unternehmen, gibt’s viele Möglichkeiten – packen wir’s schnell, dennoch nachhaltig, ökologisch und ökonomisch an.

Quellen: u. a.

www.energy-charts.de, https://www.ise.fraunhofer.de www.bmwi.de https://www.volker-quaschning.de

Dieter Wiebusch