Vor dem Schrecken wachsam sein

Am Samstag, 23.03.24, trafen sich Mitglieder unseres Stadtverbandes und Gäste zu einer besonderen Exkursion. Mit Steffen Richter vom AKuBiZ hatten wir einen Guide gewonnen, der seine profunden Kenntnisse zur Historie von Pirna an wichtigen Punkten auf der Wanderung vom Marktplatz zum Sonnenstein gern mit uns teilte.

Die Zeit, bevor das Erschrecken eintritt, in den Blick nehmen

Anhand von Abbildungen und Erzählungen wurde uns nochmals sehr plastisch vor Augen geführt, welche hochwirksame Propaganda und perfide Mordmaschinerie die Nationalsozialisten in den Jahren 1940/41 auf dem Sonnenstein in Gang gesetzt hatten. Um ein „Nie wieder“ wirklich verständnisvoll einzuordnen, müssen wir uns die Jahre vor 1933 bzw. 1940 verdeutlichen. Die Jahre, in denen pseudowissenschaftliche Schriften von Vertretern des Sozialdarwinismus, der sogenannten Rassenhygiene und Eugenik verbreitet wurden. Ein Lehrbuch mit dem Titel „Die Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens“, verfasst von dem Strafrechtler Karl Bindung und dem Psychiater Alfred Hoche, erschienen 1920, bereitete z. B. schon während der Weimarer Republik inhaltlich und propagandistisch die Verbrechen der NS – Zeit vor. So konnte die ehemals fortschrittliche Heil- und Pflegeanstalt auf dem Sonnenstein, die bekannt und berühmt war für ihre modernen Therapieformen, zu einem späteren Zeitpunkt praktisch widerstandslos umgewandelt werden in eine Tötungsanstalt.

Grundlegende Mechanismen

  1. Die Willkür, mit der Menschen in diese Mordmaschine gerieten. In Pirna wurden Menschen aus den unterschiedlichsten Gründen vergast. Darunter waren vor allem Menschen mit körperlichen Gebrechen (was darunter zu verstehen war, wurde auch willkürlich festgelegt), Jüdinnen und Juden, KZ – Häftlinge und Menschen, die sich wegen verschiedener „Unzumutbarkeiten“ beschwert hatten (s. auch das Schicksal von Franz Molch, der sich über seine Rentenkürzung beschwerte; SZ, 26.0.24, „Todesgarage in Pirna: Jetzt spricht ein Angehöriger“).
  2. Die sorgfältige Verschleierung von Verantwortlichkeiten und der Tötung selbst. Es gab quasi keine gesetzliche Grundlage für die Tötung der Menschen. In einem Befehl Hitlers wurde sehr allgemein und ohne Nennung von konkreten Verantwortlichen die Mordmaschine auf dem Sonnenstein und in anderen geeigneten Orten in Deutschland in Gang gesetzt. Sogenannte Ärzte untersuchten die Menschen ein letztes Mal, allein um eine plausible Todesursache für den fingierten Totenschein zu finden.
  3. Die lange, ideologische Vorbereitung zur Abwertung der späteren Opfer. Indem man ihnen systematisch ihre Menschenwürde absprach, sie zu „den anderen“ abstempelte, die nicht zur „Volksgemeinschaft“ gehörten und diese wegen ihres „Lebensunwertes“ angeblich „belasteten“, konnten die Faschisten damit rechnen, dass ihr ideologisches Gift langsam in die Köpfe der Menschen einsickerte.

Und heute?

„Gegenwart ist Vergangenheit“ steht auf dem Stein vor der Gedenkstätte. Die Parallelitäten in manchen Diskussionen der Gegenwart irritieren, sollten uns anstoßen und nachdenklich machen.

Fazit

Unsere Tour endete an der Busgarage, wo die grauen Busse ankamen und die Menschen für die industriemäßige Vergasung ausgeladen wurden. Wie wir wissen, soll bald „Schöner Wohnen am Elbhang“ drumherum möglich werden. Was die einen fassungslos macht, ist für die anderen Normalität, ist ein ganz normaler Vorgang der Umwandlung einer historischen Stätte in etwas Zeitgemäßes.

Für uns ist es das nicht. Wir beobachten auch in der Gegenwart die grundlegenden Mechanismen der Abwertung (der Markierung von Menschen als „die anderen“, die nicht zu uns gehören) und der Willkür, mit der z. B. Menschen nach Plänen von Rechtsextremisten zwangsweise deportiert werden sollen. Deshalb werden wir uns weiterhin dafür einsetzen, dass das „Denk-Mal Busgarage“ nicht verschwindet, weil keine Normalität einziehen darf. Wir wollen dazu beitragen, dass die Busgarage erkennbar bestehen bleibt und / oder dass geeignete, neue Formen des Erinnerns und Mahnens, auch an diesem Ort, gefunden werden und anstößig bleiben.

 

Dr. Bärbel Falke