Willkommen 2025! Sich engagieren oder abtauchen?

Am 05.01.2025 schließt die Ausstellung mit Werken des großen Meisters der Romantik Caspar David Friedrich im Albertinum in Dresden. Die Nachfrage ist so groß, dass die Öffnungszeiten bis in die Abend- und Nachtstunden verlängert wurden. Woher kommt die Anziehungskraft der Bilder Friedrichs auf die Menschen in der ersten Hälfte des 21. Jahrhunderts?

Restauration und Biedermeier – die Zeit, in der Friedrich lebte

In der Tat könnte man meinen, dass unsere Zeit Ähnlichkeiten aufweist mit der Zeit des Vormärz im 19.Jhd. In der damals als Restauration bezeichneten Epoche taten die Fürstenhäuser im Deutschen Bund alles dafür, die Idee einer liberalen Gesellschaft mit Verfassung in einem deutschen Nationalstaat zurückzudrängen. Mit der sogenannten „Demagogenverfolgung“ sollten die Menschen eingeschüchtert werden. Es gab Bespitzelungen, Presseverbote und Haftstrafen. Ziele waren Professoren, Studenten, allgemein liberale Geister, wie z. B. die Brüder Grimm. Die Menschen zogen sich ins Private zurück, machten ihre Wohnungen schön, der Tannenbaum zog zu Weihnachten ein in die guten Stuben. Die Naturverbundenheit nahm zu. In der Natur  fühlten sich die Menschen frei.

Caspar David Friedrich hat diese Stimmung gut eingefangen. Seine Naturstudien, aber auch seine z. T. recht düsteren Bilder, die Friedhöfe und Kerkermauern zeigen, spiegeln persönliche Tragödien, aber auch die Sorge, selbst Opfer von Verfolgung zu werden.

Was hat das mit uns zu tun?

Die düsteren Szenarien unserer Zeit sind der Krieg in Europa und seine Folgen für den Kontinent, die Bedrohung der Welt durch die Erderhitzung, die Stagnation der deutschen Wirtschaft und die Angst vor dem Ende des guten Lebens. Die Komplexität der verschiedenen Krisen und der möglichen Auswege, die es unbenommen gibt, ist nicht leicht zu durchschauen. Viele fühlen sich tatsächlich wie der „Wanderer über dem Nebelmeer“ in Friedrichs Bild. So ziehen sich Menschen auch heute ins Private zurück, wollen mit politischen Fragen nichts zu tun haben. Und da gibt es ja noch die großen „Vereinfacher“, die mit ihren unterkomplexen Antworten und klaren Schuldzuweisungen die Welt scheinbar wieder übersichtlicher machen. Wahlweise haben die Grünen oder die Migranten Schuld an der ganzen Misere. Dazu gibt es nur sehr wenige Argumente, aber viele starke und laut vorgetragene Meinungen.

Auch der Versuch einer Restauration ist gut zu beobachten. Es ist der Versuch der Restauration der fossilen Grundlagen unserer Gesellschaft. Jede/r, der sagt, dass die fossilen Grundlagen in Zukunft unsere Gesellschaft nicht mehr tragen werden, dass sie das gute Leben auf Dauer zerstören, dass es nicht so wie bisher weitergehen kann und sogar konkrete Maßnahmen ergreift, wird an den digitalen Pranger gestellt. Dahinter steckt eine finanzstarke Lobby der fossilen Industrien, die CDU, FDP und AfD wie Marionetten leitet. Restaurative Tendenzen betreffen, gern von der AfD vertreten, auch die Rückkehr zur D-Mark, die Rückkehr zu Frauen- und Familienbildern der 50iger Jahre des letzten Jahrhunderts und die Rückabwicklung von Deutschland als Einwanderungsland. Damit sind nur einige der Tendenzen benannt. Sie ignorieren die ökologischen Gefahren, die schon jetzt eingetretenen Wettbewerbsnachteile der deutschen Wirtschaft und die Stärken einer lernfähigen liberalen Gesellschaft.

Die politischen Verhältnisse in Pirna 2025

Als wir im vergangenen Jahr Wahlkampf in Pirna gemacht haben , konnten wir all diese Tendenzen gut beobachten. Es gab viele Menschen, die einfach nicht behelligt werden wollten. Sie wollten einkaufen und ihre Ruhe haben. Es gab vereinzelt Pirnsche, die ihren Frust über den Zustand der Welt an uns lautstark abreagieren  wollten, und auch Menschen, die sich für unsere Angebote interessierten. Das waren nicht sehr viele. Die einfache Erzählung, dass wir Grünen an allem Schuld seien, ist auf fruchtbaren Boden gefallen.

In Pirna dominiert eine Allianz aus Freien Wählern und AfD den Stadtrat. Sie haben gemeinsam vieles vor, sehen sich als „Macher“. Sie machen Politik, bemühen sich aber angestrengt, unpolitisch zu erscheinen. Eines ihrer großen Projekte ist das „City Outlet“ Pirna. Schaut man in die Machbarkeitsstudie, sieht man Hochglanzansichten zu verschiedenen Outlet-Centern in Deutschland und Europa, viele bunte Bilder und Grafiken. Die Studie unterstellt, dass die Outlet-Center gegenüber dem Online-Shopping weitgehend „immun“ seien, weil sie „Shopping-Destinations“ sind und ein „soziales Einkaufserlebnis“ bieten. „Das Thema Outlet-Shopping sei zu einer beliebten Freizeitbeschäftigung geworden.“ Angepriesen werden Outlets als „Mekka der Schnäppchenjäger“. Ernsthaft?! Ist das die Vision für unsere Stadt? Oder ist es einfach nur ein lukrativer Auftrag für ansässige Baufirmen und Architekten. Welches Menschenbild haben die „Macher“ eigentlich?

Ab Seite 30 erfährt die gespannte Leserin dann auch die harten Fakten zu Pirna: Da geht es interessanter Weise nicht nur um die Belebung der Altstadt und die Beseitigung der Leerstände. Am Busbahnhof sollen zunächst in einem riesigen, neuen Komplex auf über 1000 qm Fläche neue Läden entstehen. Ist das die Belebung der Innenstadt oder ein Staubsauger-Effekt für die schon ansässigen Läden?

Die SWOT-Analyse (Analyse von Stärken, Schwächen, Chancen und Gefahren eines Projektes) fördert, neben den viel gepriesenen Chancen, auch mögliche Gefahren zutage (ganz klein geschrieben und später nicht mehr auftauchend). Ich zitiere aus der Studie: „Mögliche Vorbehalte (v. a. aus Imagegründen) von Markenherstellern gegenüber einer Ansiedlung in einer Stadt mit hohen AfD-Anteilen und einem von der AfD gestützten Oberbürgermeister.“

Aber egal, die „Macher“ jubeln, der Stadtrat hat mehrheitlich zugestimmt. Die Pirnschen sollen konsumieren auf Teufel komm raus und am besten die Touristen auch noch. Dass diese bisher vor allem wegen der Nähe zur Sächsischen Schweiz gekommen sind, in erster Linie wandern oder radeln wollen, ist auch egal. Schöne, heile Shopping-Welt.

Nur nebenbei: Wir haben ganz und gar nichts gegen die Belebung der Innenstadt durch die Beseitigung der Leerstände. Das würde auch den gastronomischen Einrichtungen und den alt eingesessenen Ladeninhabern gut tun. Deshalb lehnen wir das Konzept nicht in Gänze ab. Wenn allerdings schon der Bahnhof als große Shoppingmeile aufgezogen wird, wie in vielen anderen Städten auch, darf ernsthaft gefragt werden, worum es eigentlich geht.

Was also? Sich engagieren oder abtauchen?

Im Unterschied zum Vormärz des 19. Jhd. haben wir heute eine starke, liberale Demokratie. Menschen- und Bürgerrechte, die 1849 in der Paulskirche zum ersten Mal formuliert wurden, sind fester Bestandteil unserer Verfassung. Also alles in Butter? Mitnichten.

Die demokratische Verfasstheit eines Gemeinwesens ist nichts Statisches. Gerade im ersten Quartal des 21. Jhd. ist sie in Deutschland, wie in vielen anderen Demokratien der Welt, stark unter Druck geraten. Rechte Akteure bereiten sich nicht nur darauf vor, den Staat direkt anzugreifen. Sie definieren soziale Konflikte um in Konflikte zwischen denen, die dazugekommen sind, und denen, die schon immer da waren. Sie glänzen durch Untätigkeit beim ökologischen Umbau der Gesellschaft.

Investitionen fließen, wie am Beispiel von Pirna aufgezeigt, eher in Bauvorhaben als in solchen Umbau der Stadt. Diese „Untätigkeit wird dazu führen, dass ökologische Großgefahren in ihren Wirkungen umso stärker werden. Mit einer zerstörten Natur lässt sich aber keine florierende Wirtschaft machen.“ (Prof. Klaus Dörre).

Für Pirna bedeutet das beschriebene Szenario, dass die bunte Zivilgesellschaft einschließlich der links-ökologischen Parteien sich nicht sedieren lassen darf, nicht anstecken lassen vom: „Ach, schau mal, alles wie immer, lasst uns shoppen gehen.“ Wie schon 2024 werden wir uns einmischen, weiter starke Netzwerke bilden und auf soziale Ungerechtigkeiten hinweisen. Wir werden unsere migrantischen Mitbürgerinnen und Mitbürger unterhaken, die queere Community der Stadt unterstützen und gegen das große Zögern in Bezug auf den Klimawandel kämpfen. Wir werden nicht abtauchen. Mit uns wird zu rechnen sein.

 

Dr. Bärbel Falke

Co-Sprecherin des Stadtverbandes von Bündnis 90/ Die GRÜNEN