Deutschland hat gewählt

Am 23.02.2025 haben die Wählerinnen und Wähler ihre Stimme abgegeben und einen neuen Bundestag gewählt. Diese Wahl bedeutet für Deutschland einen Rechtsruck. Die CDU/ CSU wurde mit 28,52 % der Stimmen die stärkste Kraft im Bundestag, die AfD mit 20,8 % die zweitstärkste. Die SPD erreichte 16,41 % der Stimmen und damit ihr schlechtestes Ergebnis in der Geschichte der Bundesrepublik. Dennoch ist sie zum Regieren „verdammt“. Denn FDP und BSW werden nicht im Bundestag vertreten sein. Somit erreichen CDU/ CSU und SPD eine Mehrheit im Bundestag und können die Regierungsbildung übernehmen. Aber auch mit der AfD könnte die CDU/ CSU eine Regierung bilden. Warum die Entscheidung dagegen eine kluge ist, wird u. a. Gegenstand dieser Analyse sein.

Bündnis 90/ Die Grünen musste mit 11.61% der Stimmen weniger Verluste einstecken als die anderen Ampelparteien. Dennoch ist das kein gutes Ergebnis. Doch betrachten wir zunächst den Wahlsieger.

Die politischen Entscheidungen von CDU/ CSU
  • CDU/ CSU entschied sich für die Ablehnung einer Koalition mit der AfD aus mehreren Gründen. Die Christdemokraten sind z. B. überzeugte Europäer. Dem entgegen steht der Anti- Europa-Kurs der AfD. Deren erklärte Absicht aus dem Euro auszutreten, würde Deutschland in eine katastrophale Wirtschaftskrise stürzen. Der Brexit hat das beispielhaft vorgemacht.
  • Gemeinsamkeiten zwischen AfD und CDU/ CSU gibt es beim Anti-Migrationskurs. Die AfD setzt auf Angst, Neid und Missgunst. Sie verkennt die Realitäten in Deutschland und instrumentalisiert Anschläge für eigene Zwecke. „Das was heute passiert ist, das können wir gut verwerten“, sagte Rene Dierkes, AfD Landtagsabgeordneter in Bayern zu seinem Parteikollegen Protschka aus dem Bundestag nach dem Anschlag in München. Gemeint ist nicht Mitgefühl mit den Opfern. Gemeint ist das Schüren von Angst unter der Bevölkerung nach jedem Anschlag.
  • Politisch könnte man solchen Anschlägen völlig anders begegnen, aber das interessiert die AfD und auch CDU/ CSU nicht. Die Realität in Deutschland ist, dass 80 % der Männer aus Syrien, die 2015/16 zu uns gekommen sind, inzwischen sozialversicherungspflichtig arbeiten. Die Realität ist, dass wir, um unseren Wohlstand zu halten, in jedem Jahr 400 000 Einwanderungen netto benötigen. Die Realität ist aber auch, dass diese Einwanderungen planbarer gestaltet, dass Kommunen bei der Aufnahme von Geflüchteten stärker unterstützt werden müssen. Ein einfaches „Grenzen zu“ und „abschieben“ klingt vielleicht in manchen Ohren plausibel. Es ist aber völlig realitätsfern, rechtswidrig und unnötig.
  • Der Kanzlerkandidat Merz will zwar mit der AfD nicht koalieren, hat aber den Prozess der Normalisierung der AfD betrieben. Beim Kernthema der rechtsextremen AfD, der Migration, brachte er im Bundestag einen 5-Punkte-Plan zur Verschärfung der Migrationspolitik mit den Stimmen der AfD durch. Damit brach er ein Tabu und unterstützte die AfD in den o. g. Positionen.
  • Die Wirtschaftspolitik der CDU/ CSU basiert, auf einen kurzen Nenner gebracht, auf Steuersenkungen für Reiche und Kürzungen bei Armen. Damit schürt sie Abstiegsängste genauso wie die AfD. Sie macht damit eine Haltung des „nach unten Tretens“ vor, die Rechtsextreme dann wörtlich nehmen und ausführen.
  • Auch im Bereich des Klimaschutzes tendiert die CDU zu AfD-Positionen. Merz lehnt Windräder ab, weil diese „hässlich“ seien. Weidel will sie abreißen. Das Gebäudeenergiegesetz soll rückgängig gemacht werden. Komisch nur, dass gerade jetzt im ganzen Land Solaranlagen auf Dächern erscheinen und Wärmepumpen eingebaut werden. Auch die Industrie profitiert von den erneuerbaren Energien, die für ein Sinken der Strompreise sorgen. (Die AfD bestreitet das, weil es ja „billige und sichere“ Atomkraftwerke gäbe.) Industrie benötigt jedoch Planbarkeit und kein „Hü“ und „Hott“. Ganz davon abgesehen, dass hohe Strafzahlungen fällig würden, wenn Deutschland die EU-Klimaziele in den Sektoren Gebäude und Verkehr verfehlen würde.

Vorläufiges Fazit:

Die CDU/ CSU ist eine konservative, aber keine rechtsextreme Partei. Sie hat mit ihrem designierten Kanzler die meisten Stimmen in Deutschland gewonnen, aber auch über eine Million Stimmen an die AfD verloren. In Ostdeutschland wählt wegen ähnlicher Positionen in der Migrationspolitik eine Mehrheit die rechtsextreme AfD. So tragen beide Parteien mit ihrer Politik zu einer geistigen Verwahrlosung in unserem Land bei. Sie packen die wahren Probleme nicht an (Klimaschutz, Wohnungsnot, kaputte Infrastruktur, Versäumnisse im Digitalbereich, Bildungskrise) und suchen stattdessen Sündenböcke. Die Verwahrlosung ist bis ins Parlament vorgedrungen. Man verfolge nur einmal die hämischen und gehässigen Kommentare und Zwischenrufe von den Bänken der AfD, wenn z. B. Frauen ans Rednerpult treten.

Das Ergebnis von Bündnis 90/ Die Grünen

Mit dem Ergebnis von 11,61% sind wir unter unseren Möglichkeiten geblieben. Das war nur bedingt vorauszusehen. Wir haben einen furiosen Wahlkampf geführt und damit viele Menschen im Land angesprochen. Allein im November 2024 gab es 20 000 Eintritte in unsere Partei. Auch in Pirna sind junge Menschen zu uns gestoßen, die im Wahlkampf sofort mit angepackt haben. Das war großartig.

Wir können außerdem verbuchen, dass wir in den drei Jahren der Ampel gegen den bestehenden Reformstau und für eine Modernisierung des Landes gekämpft und viel erreicht haben. Hier eine unvollständige Aufzählung.

  • Viele Maßnahmen der Entbürokratisierung sorgen für einen Rekordausbau der Erneuerbaren Energien.
  • Die Ampel hat das Deutschlandticket eingeführt.
  • Cannabis wurde legalisiert. Im Biertrinkerland Deutschland klingt das für manche gewöhnungsbedürftig. Hier ist die gewohnte Droge quasi immer und überall verfügbar. Der private Gebrauch von Cannabis jedoch, der in Deutschland auch existiert, ist durch dieses Gesetz entkriminalisiert worden. Konsumenten werden nicht länger in den illegalen Schwarzmarkt gedrängt.
  • Mit dem Startchancenprogramm werden Grundschulen mit 20 Milliarden Euro unterstützt, was der Lernförderung hilft und schulische Sozialarbeit finanziert.
  • Mit dem Staatsangehörigkeitsrecht und dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz werden Verwaltungsprozesse beschleunigt und eine schnellere Eingliederung in den Arbeitsmarkt ermöglicht.
  • Es gibt mehr Bafög für Schülerinnen und Schüler sowie Studierende.
  • Mit dem Klimaanpassungsgesetz wird ein verbindlicher Rechtsrahmen geschaffen für die Risikovorsorge in den Ländern und Kommunen, z. B. durch verbesserten Hochwasserschutz, die Wiedervernässung von Mooren und die Schaffung von mehr Grünflächen für die Speicherung von Wasser.
Warum sind wir unter unseren Möglichkeiten geblieben?

Vorausgeschickt sei, dass die Zahlenarithmetik bei der Zusammensetzung des Bundestages kompliziert ist. Vorausgeschickt sei außerdem, dass die Beteiligung in einer Koalition mit CDU/ CSU und SPD vielleicht ein ziemliches „Gewürge“ geworden wäre mit ständigen Querschüssen aus Bayern. Dennoch wollten wir Verantwortung übernehmen, um die o. g. Entwicklungen fortzuführen. Die Erhitzung unseres Planeten wird sich auch in den nächsten 4 Jahren fortsetzen. Weitere entschlossene Maßnahmen dagegen sind ein MUSS.

Große Koalitionen sind in der Vergangenheit jedoch nicht gerade aufgefallen durch mutige Schritte beim Klimaschutz und der Modernisierung des Landes. Noch als Robert Habeck das Wirtschaftsministerium übernahm, wurden Heizungen mit fossilen Brennstoffen subventioniert.

Als Teil der Regierung hatten wir die Möglichkeit, daran etwas zu ändern und damit für mehr Ehrlichkeit zu sorgen. Und so taten wir beides. Die von Grünen geführten Ministerien erarbeiteten viele notwendige Gesetze, um endlich den Reformstau aufzulösen. Gleichzeitig mussten sie viele Kompromisse eingehen. Das sorgte für Verdruss. Anders als Christian Lindner waren Steffi Lemke, Cem Özdemir und Robert Habeck nicht in erster Linie unterwegs in Sachen eigener Profilierung. Auch später im Wahlkampf betonte Robert Habeck immer wieder, dass demokratische Parteien untereinander anschlussfähig und kompromissbereit sein und für das Land Verantwortung übernehmen müssen. Er konnte wie kein anderer Brücken bauen in andere Milieus.

Dann kam der Tabubruch von Friedrich Merz. Damit habe der ein „Konjunkturprogramm für die Linkspartei geschaffen“, sagt Paula Piechotta, Sächsische Bundestagsabgeordnete der Grünen. Denn die Linkspartei versprach, auf keinen Fall mit Merz zu koalieren. „Auf die Barrikaden“ rief die Linke Heidi Reichinek in den Plenarsaal des Bundestages und traf damit einen Nerv. Laut Infratest Dimap verloren die Grünen 700 000 Wählerinnen und Wähler an die Linkspartei.

Schon vorher hatte der 10-Punkte Migrationsplan von Robert Habeck für Unruhe in der Partei gesorgt. Er war von manchen als Anbiederung an den Kurs von CDU/ CSU aufgefasst worden, was er definitiv nicht war. Aber die Unterscheidbarkeit der Grünen gegenüber ihren politischen Mitbewerbern hat in dieser Frage doch arg gelitten.

Nun ist Robert Habeck zurückgetreten. „Ich werde keine führende Rolle in den Personaltableaus der Grünen mehr beanspruchen oder anstreben“, sagte er auf der gestrigen Pressekonferenz. Für die Partei ist das ein herber Verlust. Es bedeutet, einen unserer talentiertesten Politiker zu verlieren. Einen, der wie kein anderer die Komplexität der Verhältnisse erklären konnte, ohne dass man das Gefühl hatte, dass da eine trockene Presseerklärung verlesen wird.

Die Partei findet sich jetzt in einer neuen Rolle wieder, für die wir Robert dringend gebraucht hätten. Die Frage ist, welches politische Angebot wir jetzt machen werden. Damit ist nicht gemeint, dass Klimaschutz, soziale Gerechtigkeit, die Unterstützung der Ukraine oder andere essentielle Grundlagen unserer Partei zur Disposition stehen würden. Die Frage ist, auf welchem Weg wir unsere Ziele erreichen wollen. Ob Kompromisse verhandeln, Brücken bauen, Bündnisse schließen, miteinander reden, aufeinander zugehen der vorherrschende Weg sein werden. Oder eher Profil schärfen, wenig entgegen kommen, härter verhandeln, klare Kante zeigen.

Lassen wir uns Zeit, werden wir nicht kompromisslos, aber zeigen wir auch mit größerer Klarheit, wofür wir stehen. Es kommt jetzt darauf an, Glaubwürdigkeit wieder zu erlangen, was die Bekämpfung sozialer Ungerechtigkeit und sozialer Kälte angeht. Und unsere Glaubwürdigkeit in Bündnissen einzusetzen für den Klimaschutz und die Unterstützung der Ukraine.

 

Dr. Bärbel Falke