Radverkehr in Gegenrichtung von Einbahnstraßen

Wie in vielen Rechtsfragen gibt es auch im Verkehrsrecht kein Schwarz oder Weiß, sondern Abstufungen. In den Gesetzen und Vorschriften – das gilt auch für die Verwaltungsvorschriften (VwV) zur Straßenverkehrsordnung (StVO) – findet sich immer wieder eine Trilogie aus „Kann“, „Soll“ und „Muss“. Dabei steht das „Soll“ näher am „Muss“ als am „Kann“. Im Verwaltungsrecht führt eine solche „Soll-Vorschrift“ nicht selten de facto zu einer „Muss-Vorschrift“. (Begriffserklärung)

Bewaffnet mit den Grundregeln der Handlungsfreiheit einer Verwaltung, richten wir nun den Blick auf Tagesordnungspunkt 8.1 der Stadtratssitzung vom 24. Juni 2025. Dieser Antrag wurde mit 14 Ja- zu 9 Nein-Stimmen bei einer Enthaltung angenommen. (Ratsinformationssystem Stadt Pirna)

Radverkehr in Einbahnstraßen


Im Zeitraum von 1997 bis 2020 lief bundesweit eine Testphase zur Öffnung von Einbahnstraßen für den Radverkehr in Gegenrichtung. Aufgrund der ersten positiven Erfahrungen wurde diese Öffnung 2001 als „Kann-Vorschrift“ in die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur StVO aufgenommen.

Mit der Fahrradnovelle der StVO vom April 2020 war 2021 eine neue Änderung der VwV-StVO nötig. Die Öffnung von Einbahnstraßen in Gegenrichtung hatte sich in der Praxis bewährt, nicht zuletzt im Hinblick auf die Verkehrssicherheit, wie begleitende Forschung bestätigte. Die seit 2001 bestehende „Kann-Vorschrift“ wurde daher zu einer „Soll-Vorschrift“ und somit zum Regelfall.

Was ist nun Pflicht?


Die VwV-StVO legt fest, dass Einbahnstraßen für den Radverkehr in Gegenrichtung geöffnet werden müssen, wenn

  • die zulässige Höchstgeschwindigkeit nicht mehr als 30 km/h beträgt,
  • eine ausreichende Begegnungsbreite (mindestens 3,5 m) vorhanden ist (ausgenommen an kurzen Engstellen),
  • die Verkehrsführung im Verlauf sowie an Kreuzungen und Einmündungen übersichtlich ist,
  • dort, wo es orts- und verkehrsbezogen erforderlich ist, ein Schutzraum für den Radverkehr angelegt wird.

Auf dieser Grundlage hat die Stadtverwaltung alle Einbahnstraßen geprüft und die Freigaben umgesetzt. Dazu waren Markierungen von Ein- bzw. Ausfahrtsbereichen als Schutzraum im Straßenraum erforderlich.

Stein des Anstoßes


Bei den Umsetzungen mussten in einigen Teilbereichen Stellplätze zurückgebaut werden. In Copitz betrifft dies etwas 20, auf dem Sonnenstein etwa 10 Stellplätze, wofür genug Ausgleich vorhanden ist. In der Innenstadt entfielen ohne Ersatz jedoch nur rund 1 % der insgesamt etwa 1 300 Stellplätze.
Die einbringenden Fraktionen fordern in ihrem Antrag, die geplanten und bereits umgesetzten Maßnahmen sofort aufzuheben. Zudem verlangen sie den Rückbau der Markierungen und die Wiederherstellung der entfallenen Stellplätze. (Ratsinformationssystem Stadt Pirna)

Rechtsbruch mit Ansage


Der Fachgruppenleiter Rechtsangelegenheiten brachte es in der Debatte auf den Punkt:
„Der Antrag zielt inhaltlich auf ein unzulässiges Ergebnis. Der Oberbürgermeister wäre verpflichtet, ihm zu widersprechen.“
Dennoch stimmte der Oberbürgermeister, entgegen dieser Einschätzung, mit den Antragstellern und beging damit bewusst Rechtsbruch.

Kosten


Vorschriften ändern sich laufend und verursachen zusätzliche Umsetzungskosten. Im Haushalt werden diese berücksichtigt; oft gibt es aber Fördermittel von Land und Bund.
Hier hat die Stadtverwaltung geltendes Recht umgesetzt, das nun von den Antragstellern ignoriert wird. Interpretiert man die Aussagen des Oberbürgermeisters richtig, strebt er eine juristische Auseinandersetzung an. Im schlimmsten Fall entstehen neben Prozesskosten weitere Ausgaben für Rückabwicklung und „Rückabwicklung der Rückabwicklung“.

Fazit


Die Antragsteller bemängeln fortwährend die Kosten öffentlicher Maßnahmen. Dabei führen gerade ihre unrealistischen Forderungen und ihr rechtswidriges Vorgehen zu unnötiger Mehrbelastung der kommunalen Kassen. Es liegt offensichtlich auf der Hand, dass zum Schein ein „Spiel“ aufgeführt wird, ein Rechtsbruch begangen, der zum Schaden unserer Stadt führt.
Jedes zusätzliche Rad auf der Straße entspricht einem Auto weniger. Eine gute Radinfrastruktur schafft (Park)Platz für jene, die aufs Auto angewiesen sind. Die Vorteile, weniger Unfälle und mehr Raum für alle, sind wissenschaftlich belegt. Schließlich sind wir unseren Bürgerinnen und Bürgern eine lebendige, gesunde und sichere Stadt schuldig.

Jan Hamisch