Taxiert und für ungenügend befunden

Was bedeutet die EU-Taxonomie zu Atom und Gas für uns in Pirna?

Wenn Sie als Pirnaer Bürger*in nicht stört, dass möglicherweise Investitionen auf Jahre hinaus in die falsche, weil nicht nachhaltige Technologie (Atomstrom, Strom aus der Verbrennung fossilen Gases) fließen, dann können / müssen Sie nichts tun, außer für das Wohl Ihrer Kinder und Kindeskinder hoffen.

Wenn es Sie allerdings stört, dann hilft

  • ein Tarifwechsel weg vom Strommix aus Atom, Kohle, Erdgas zum Ökostrom bei den Pirnaer Stadtwerken oder einem anderen Anbieter, wodurch man den Ausbau und die Vermarktung von Strom aus regenerativen Quellen fördern und sogar noch viel Geld (Tarifvergleich – SWPE ist teuer) sparen kann.
  • eine Investition bei einer Bürgerenergie-Genossenschaft, die eine PV-Freiflächenanlage oder ein Windkraftwerk in der Nähe betreibt / betreiben will.
  • die eigene Installation oder Anmietung von PV-Anlage (Solarstrom), Batteriespeicher (höherer Grad an Selbstversorgung) und / oder Wärmepumpe (Heizen mit Erd- / Luftwärme).
  • die Initiative von Wohngemeinschaften für eine Quartierlösung hinsichtlich Solarstrom und Wärme.
  • bei Geldanlagen auf zertifizierte Öko-Produkte zu achten.
  • die rote Karte für Investor*innen, die aufs falsche Pferd setzen, weil …

Wir widersprechen der Erweiterung der Taxonomie für Atomkraft- und Gaskraftwerke ab 31.12.2021!

In vier Bereichen begründen wir diesen Widerspruch:

  • Atomkraft und Demokratie
  • Zweck der EU-Taxonomie
  • Greenwashing von Atom und Gas – ein dünnes Brett für Geldgeber*innen
  • Atomenergie und Erdgas – C02 frei, nachhaltig und preisgünstig (?)

Atomkraft und Demokratie

Die Richter*innen des Bundesverfassungsgerichts haben am 29.04.2021 ein sehr bemerkenswertes Urteil zur Frage von Klimaschutz und Freiheit künftiger Generationen gefällt: Unter Bezug auf den GG-Artikel 20a haben sie festgestellt, dass der Staat die Lebensgrundlagen in Verantwortung für die künftigen Generationen gesetzgeberisch schützen muss; die Lebensgrundlagen müssten der Nachwelt in einem solchen Zustand hinterlassen werden, dass „die nachfolgenden Generationen diese nicht nur um den Preis radikaler eigener Enthaltsamkeit weiter bewahren können.“ Ansonsten wäre das Leben künftiger Generationen umfassenden Freiheitseinbußen ausgesetzt, wohingegen die jetzige Generation ihre Freiheiten umfassend auf Kosten der nachfolgenden ausgelebt haben würde.

Die Richter*innen haben damit den Nachhaltigkeitsbegriff der UNO-Kommission um den norwegischen Ministerpräsidenten Gro Harlem Brundtland aus dem Jahre 1987 aufgegriffen: „Nachhaltige Entwicklung ist eine Entwicklung, die die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne dadurch die Fähigkeit künftiger Generationen einzuschränken, ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen.“

D. h., politische Entscheidungen in einer Demokratie dürfen nur so geartet sein, dass sie rückholbar sind, dass sie im Zweifel in einer nachfolgenden Legislatur durch Mehrheitsbeschluss prinzipiell wieder umkehrbar sind. Beschlüsse dürfen nicht unweigerlich damit verknüpft sein, dass Dauerhaftes (Methan und CO2 als Klimakiller in der Atmosphäre) bzw. nicht Beherrschbares (z. B. strahlende Atomruinen sowie Jahrtausende strahlender Atommüll) hinterlassen wird, das die Freiheit der Kinder und Kindeskinder einschränkt.

Demokratie und Atomkraft sind prinzipiell nicht (mehr) vereinbar.

Zweck der EU-Taxonomie

Die Taxonomie, eine Rechtsverordnung in Form von so genannten Delegiertenakten, gehört in den Zusammenhang des New Green Deal (ab 2050 Klimaneutralität in Europa), der von Ursula von der Leyen als Präsidentin der EU-Kommission auf den Weg gebracht worden ist. Das Milliarden schwere Programm mit einer Investitionslücke von 60 Mrd. Euro muss finanziert werden, und die Idee ist, dass neben staatlichen Aufwendungen auch private Finanziers einen Teil der Kosten übernehmen sollen. Um das Geld in die richtigen Bahnen zu lenken, benötigt es Kriterien, eine Taxonomie, die klar zum Ausdruck bringt, was gewünschte, im Sinne des Green Deal nachhaltige Investitionen sind. Die erste Akte vom Beginn 2021 beinhaltet eine lange, nach wissenschaftlichen Kriterien erstellte Liste von geeigneten Finanzobjekten; sie wurde vom Europa-Parlament auch mit den Stimmen der Grünen Fraktion beschlossen. So soll das verstärkt werden, was Anleger*innen im Augenblick (2021) schon bevorzugen: 69 % wollen nachhaltig investieren, 117 % mehr an privaten Geldeinlagen in nachhaltige Fonds.

Ska Keller, die dt. Vorsitzende der Grünen / EFA-Fraktion kommentierte zunächst: „Die Taxonomie kann den Goldstandard für nachhaltige ‚grüne’ Investitionen setzen, die Europäische Union Pionierarbeit leisten für ‚grüne’ Wirtschaft und Investitionen.“

Aber nun ist sie entsetzt, denn Lobby-Arbeit hat gewirkt. Bisher waren Atomkraft und fossiles Gas in der Taxonomie ausgeklammert. Am 31.12.2021 legte die Kommission den 2. Akt zur Taxonomie vor und stufte nachträglich auch die Nutzung von fossilem Gas und den Weiterbetrieb von Atomkraftwerken unter bestimmten Bedingungen auf dem Weg zur EU-Klimaneutralität im Jahre 2050 als nachhaltig und damit (auch für staatliche Subventionen) förderungswürdig ein.

Greenwashing von Atom und Gas – ein dünnes Brett für Geldgeber*innen

Das Nachhaltigkeit-Label für fossiles Gas in der EU-Taxonomie vom 31.12.2021 beinhaltet einen Widerspruch in sich: Gas in der EU muss lt. EU-Kommission ab 2035 aus erneuerbaren Quellen stammen! Wie kann etwas nachhaltig (Befriedigung in der Gegenwart ohne Einschränkungen für Folgegenerationen) sein, das von vornherein eine zeitliche Begrenzung der Nutzung bis 2035 hat, also dann nicht mehr nachhaltig ist, weil der EU-Green Deal fossiles Gas als klimaschädlich und untauglich im Hinblick auf das Erreichen der EU-Klimaneutralität ab 2050 einstuft.

Die EU verwirrt die Geldgeber*innen eher als Geld klimaverträglich zu bündeln.

In Deutschland hat die Bundesregierung festgelegt, dass Gaskraftwerke ab 2035 nur noch Wasserstoff, erzeugt aus regenerativen Quellen, nutzen und private Heizungen mit Gas oder Öl nicht mehr neu installiert werden dürfen. Und sie hat gleichzeitig festgelegt, dass der Stromanteil aus Gaskraftwerken immer kleiner werden wird, weil schon 80% des Stroms im Jahre 2030 aus regenerativen Quellen stammen soll.

D. h., die fossilen Energieträger Gas, Öl, Kohle werden in 10 – 15 Jahren nicht mehr am Markt sein – eher eine schlechte Perspektive für Investor*innen.

Die gesellschaftlichen Überzeugungen und die Beschlusslage in Deutschland beenden das Geschäft mit der Atomenergie (Ausnahme Urananreicherung in Gronau) am 31.12.2022. Dann muss nur noch in den Rückbau der Atomkraftwerksruinen und in die Endlagerung des Atommülls investiert werden, was der Steuerzahler ja schon übernommen hat – also auch kein erfolgversprechendes Feld für Geldanlagen in Deutschland.

Wer verspricht sich dann etwas von dieser Taxonomie, wenn die stärkste Volkswirtschaft in Europa mittel- und langfristig für derartige Geschäfte ausfällt?

Es sind einige osteuropäische Länder, die nach wie vor auf Kohle- und Gas-Verstromung setzen (müssen), und Frankreich. Die maroden AKWs, die statt der 30 festgelegten Betriebsjahre nun schon 40 auf dem Buckel haben und von daher eine ständige Gefahr für die deutsche Bevölkerung sind (Westwindlage), sollen vor der Stilllegung per teurer Reparaturarbeiten bewahrt werden. Und Macron will neue AKWs bauen, weil die Grande Nation u. a. AKWs auch zur Anreicherung von Uran für ihre Atombomben braucht. Frankreich importiert zur Zeit Ökostrom aus Deutschland, weil ein größerer Teil seiner AKWs aufgrund von Reparaturen sowie Kühlwassermangels (trockene Hitzesommer, die immer wahrscheinlicher werden) abgeschaltet sind. Für den seit mehr als 10 Jahren im Bau befindlichen Druckwasserreaktor an der Küste in Flamanville gibt es eine Kostensteigerung von 3 auf 19 Mrd. Euro, was den Strom unattraktiv teuer werden lässt, wenn es keine staatlichen, durch die EU-Taxonomie erlaubten Subventionen für die Baukosten geben würde.

Die Erweiterung der Taxonomie könnte uns also egal sein, wenn sie nicht wichtige Gelder von den regenerativen Energien abzieht.

Atomenergie und Erdgas – C02 frei, nachhaltig und preisgünstig (?)

Klimaschutz bedeutet vor allem die Abwesenheit von CO2-Emissionen, weil CO2 nachweislich über den Käseglocken-Effekt zur Erderwärmung beigetragen hat und beiträgt.

D. h., wenn eine Technologie nachhaltig sein soll, müssen die CO2-Emissionen über den gesamten Lebenszyklus der Technologie (z. B. AKW, Gaskraftwerk, Windkraftwerk) möglichst niedrig sein, damit wir zum Pariser Klimaziel kommen und die Erderwärmung bei 1.5 oC gegenüber dem Stand von 1990 begrenzen. Der Betrieb eines Atomkraftwerks, wo Explorieren, Fördern und Transport von Uran, Bau der Betonhülle und Rückbau der strahlenden Kraftwerksblöcke, Transport und Einlagerung des Atommülls enorme Mengen an C02 freisetzen, erfüllt dies ebenso wenig wie ein Gaskraftwerk, bei dem beim Bau, beim Gaspumpen, beim Transport mit Verlusten aus den Leitungen (neben dem Klimakiller Methan) sowie bei der Stromproduktion massenhaft C0in die Atmosphäre geblasen wird.

 

https://www.dw.com/de/faktencheck-ist-atomenergie-klimafreundlich-was-kostet-strom-aus-kernkraft/a-59709250

Die Erzählung vom nachhaltigen und vor allem billigen Atomstrom muss schon längst in den Bereich Märchen verschoben werden. Weltweit völlig ungeklärt sind nach wie vor die Realisierung und Kosten der sicheren Endlagerung von Atommüll über Zehntausende von Jahren – das ist konträr zu einer ökologischen Kreislaufwirtschaft. Atomkraftwerke sind nicht versicherbar, weil Schäden im Falle eines Lecks (Harrisburg, 1979) oder einer Zerstörung (Tschernobyl, 1986, oder Fukushima, 2011, geschätzte Kosten 450 Mrd. Euro) unermesslich sind; bei Endlagern kann es keinen Versicherungsschutz mit realistischen Prämien für mehr als 300 Menschengenerationen geben.

Deshalb: Investitionen müssen so intensiv und so schnell wie möglich in die Technologien gelenkt werden, die sofort technisch ausgereift zur Verfügung stehen, die bei Herstellung und Arbeitsprozess niedrigste Werte an CO2-Emissionen aufweisen und die für alle Menschen Strom zu bezahlbaren Preisen anbieten: Wasserkraft-, Windkraft- (im Meer / an Land) und PV-Anlagen (Frei- und Dachflächen) mit intelligent betriebenen Stromnetzen sowie Speichern für die Stromenergie (Batterien und Wasserstoff).

Beginnen Sie persönlich mit der energetischen Sanierung Ihrer Wohnung / Ihres Hauses oder bauen Sie Ihre PV-Anlage in Pirna, wo die Sonne ziemlich ergiebig und absolut kostenlos scheint.

Dieter Wiebusch