Nachtrag zum 1. Pirnaer Bürgerdialog

Was in Erinnerung bleibt

Für den Bürgerdialog gab es ein klares Reglement. Die Teilnehmer*innen hielten Abstand, ein Moderator stellte Fragen und sorgte dafür, dass viele Menschen zu Wort kamen. Die Redner*innen nannten ihre Namen. Wie erwartet, wurden sehr unterschiedliche Standpunkte deutlich. Es kamen Verletzungen zur Sprache, die durch Sprache zugefügt wurden: „Covidioten“, „Coronaleugner“ als Pauschalbezeichnung für Menschen, die sich bisher nicht impfen ließen. Es gab Vorwürfe gegenüber dem Stadtoberhaupt. Der OB stelle sich nicht deutlich genug vor seine Bürger. Mehrheitlich wurden Begründungen für individuelle Entscheidungen vorgetragen.

Das Einhalten der Regeln war wohltuend an diesem Sonntagvormittag.

Es wurden jedoch auch die Gegensätzlichkeit und Unversöhnlichkeit der vorgetragenen Standpunkte und Argumente deutlich. Ein wirklicher Dialog, bei dem beide Seiten in Resonanz zueinander gehen, sich während des Gesprächs verändern, sieht allerdings völlig anders aus. Überzeugen konnte am Ende keine/r den/die andere/n vom eigenen Standpunkt.

Ist es schon ein Erfolg, wenn sich Menschen an die Regeln halten? Wenn sie versuchen, eine angemessene Sprache zu finden, einander nicht beschimpfen, herabwürdigen, für völlig irre erklären? Sind wir damit schon zufrieden? Ist das ein toller Erfolg oder ein immerhin Erfolg versprechender Anfang? Oder kann man es gleich lassen, weil Hetze und der Hass in den sozialen Medien indessen unvermindert weitergehen?

 

Die Euphemismus – Falle

Der OB Hanke übernimmt beim Bürgerdialog von den Montagabend – Demonstrierenden das Framing und spricht von den „Spaziergängern“. Wer spazieren geht, tut das in der Regel nicht zu Hunderten in der Dunkelheit und brüllt dabei Parolen wie „Haut ab“ und „Widerstand“. Wer sich so durch die Straßen bewegt, der nimmt an einer klassischen Demonstration teil. Das Gerede von den „Spaziergängen“ soll verharmlosen. Es soll demokratische Gepflogenheiten umgehen, die mit einer Demonstration verbunden sind: Anmeldung der Demonstration bei der Kreispolizeibehörde, sich als Person zu erkennen geben, zu dem stehen, was man tut, Ordner stellen, mit der Polizei kooperieren. Mit diesen bewährten Gepflogenheiten, die gleichzeitig vertrauensbildende Maßnahmen sind, wird bewusst gebrochen, wenn aus Demonstrationen „Spaziergänge“ werden.

Wen wundert es dann noch, wenn die Situation angespannt ist, wenn es Stress gibt, wenn die Lage eskaliert. Solcherart Eskalationen, egal von welcher Seite sie ausgehen, sollen hier nicht klein geredet werden. Ihnen könnte jedoch von Vornherein der Boden entzogen werden.

Oder ist eher Eskalation das Ziel einiger „Spaziergänger“?

Ein Oberbürgermeister wäre gut beraten, das Kind beim Namen zu nennen. Er sollte im Zusammenhang mit dem Demonstrationsrecht, das zurecht in unserer Demokratie einen hohen Stellenwert hat, die damit verbundenen Pflichten einfordern. Eine solche klare Haltung wäre auch deshalb wichtig, weil es hier um ein Signal in die Stadtgesellschaft hinein geht. Das Signal, dass demokratische Regeln nicht zur Disposition stehen. Ein Signal, dass den „Opferlegenden“ die Grundlage nimmt. Wer auf Augenhöhe sprechen und ernst genommen werden will, muss sich zu erkennen geben.

 

Die Abwesenheit der AfD – Stadträte

Fast alle Stadträt*innen der im Rat vertretenen Parteien nahmen am ersten Pirnaer Bürgerdialog teil. Außer der AfD. Klarer kann die AfD nicht demonstrieren, dass sie am Dialog mit der Bürgerschaft der Stadt kein Interesse hat.

 

Der Bürgerdialog soll in eine nächste Runde gehen. Wünschenswert wäre, wenn die Stadt in ihrer Haltung beim nächsten Mal deutlichere Akzente setzen würde. Vielleicht gelingt es außerdem besser, anstelle der vielen kleinen Monologe zu einem wirklichen Dialog zu kommen. Wenn die Teilnehmer*innen des Dialogs einander wirklich zuhören, aufeinander eingehen, kann sich so eine Chance ergeben:

Verstehen statt verurteilen.

B.F.