Die Grünen und der Krieg

Wir alle erleben im Moment einen Krieg, der sich durch die Bilder in den täglichen Nachrichten in unsere Hirne und Seelen frisst. Er erzwingt von jedem und jeder eine Position. Er macht Angst, er findet fast vor unserer Haustür statt. Es besteht die Gefahr, dass er in unser friedliches Leben einbricht. Aber während wir noch diskutieren, abwägen, nachdenken, müssen Politiker*innen, auch Grüne Minister*innen, Entscheidungen treffen und sich unter täglich wechselnden Umständen zu den Ereignissen verhalten. Das ist schwer und geschieht „gewissermaßen im Blindflug“.(1)

Die bisherigen Fakten

Die Ukraine wurde von einem Aggressor angegriffen. Sie verteidigt ihr Land und ihr Recht auf Selbstbestimmung. Sie wird von Deutschland und von anderen Ländern, für die dieses Recht ein hohes Gut ist, unterstützt. Das war von Anfang an Konsens in der Ampel – Koalition und bei den Grünen. Je länger der Krieg dauerte, desto klarer wurden auch die folgenden Fakten:

  • Der von Russland geführte Krieg richtete sich vom ersten Tag an nicht nur gegen militärische Objekte sondern auch gegen die Zivilbevölkerung der Ukraine.
  • Systematisch wurden und werden Theater, Museen, Krankenhäuser, Schulen, Wohnhäuser, Brücken, Straßen, Bahnhöfe, Flughäfen, Industrieanlagen und landwirtschaftliche Zentren zerstört. Menschen werden ermordet, verstümmelt, vergewaltigt, gefoltert.
  • Der Ukraine werden von russischer Seite das Existenzrecht, eine eigene Kultur,  Tradition, Geschichte und das Recht auf selbstständige Entscheidungen abgesprochen.
  • Die Besuche westlicher Politiker*innen, alle Verhandlungen verliefen bisher erfolglos.
  • Die ukrainische Armee konnte, ausgerüstet mit Waffen aus dem Ausland, den Gegner vor Kiew stoppen und aus dem Norden der Ukraine vertreiben.
  • Russland droht offen mit der weiteren Ausdehnung des Krieges, was den Einsatz atomarer Waffen bedeutet und die Einverleibung von Gebieten außerhalb der Ukraine, z. B. von Transnistrien.
  • Russland verschleppt aus den Gebieten, die es besetzt hält (Luhansk, Donezk, Süden der Ukraine) Menschen nach Russland.
  • In den von Russland besetzten Gebieten geschehen schwere Kriegsverbrechen.
  • In Russland selbst muss der Krieg immer noch „militärische Spezialoperation“ genannt werden. Russischen Menschen, die das Gegenteil behaupten, droht Gefängnis bis zu 15 Jahren.
  • Die ukrainische Armee verteidigt das Land bisher mit Erfolg. Es konnten Gebiete zurückerobert werden. Im Ost droht der Krieg zu einem Stellungskrieg zu werden.
  • Die Bombardierung der Städte geht weiter.

Die Entscheidung zur Unterstützung mit schweren Waffen

Was spricht für, was gegen die Unterstützung der Ukraine mit schweren Waffen?

Dagegen

  • Es besteht die nicht zu verharmlosende Gefahr der Eskalation des Krieges hin zu einem Weltkrieg.
  • Der Krieg und das Töten könnten verlängert werden.
  • Die Verlängerung des Krieges bedeutet auch eine humanitäre Katastrophe, bedeutet Hunger in vielen Teilen der Welt, die bisher mit Getreide aus der Ukraine beliefert wurden.
  • Waffenlieferungen erschweren diplomatische Verhandlungen.
  • Es gibt viele ungeklärte Fragen, z. B.: Was tun bei Angriffen auf Waffentransporte. Ist das dann ein Kriegsfall für die NATO? (2)
  • Diese Waffenlieferungen könnten den Einsatz noch vernichtenderer Waffen durch Russland, z. B. taktischer Atomwaffen provozieren.

Dafür

  • Ein Land, das für seine Freiheit und Unabhängigkeit gegen einen überlegenen Gegner kämpft, muss mit den Waffen ausgerüstet werden, die es für diesen Kampf braucht. (Hier liegt schon die Schwierigkeit der Abwägung, denn Flugzeuge zur Schließung des Luftraumes können es nicht sein. Das wäre ein direkter Eintritt Deutschlands in den Krieg).
  • Die Entscheidung zum weiteren Vorgehen liegt bei der Ukraine. Es verbietet sich, einem um seine Existenz kämpfenden Volk, Ratschläge zur Beendigung des Krieges aus dem sicheren Zuschauersessel heraus zu geben.
  • Ohne die notwendigen Waffen für die Ukraine wird Russland weiteres ukrainisches, vielleicht auch moldawisches Territorium erobern. Die Erfahrung und die Fakten in Grosny,  Aleppo und Georgien zeigen. Wer sich nicht wehren kann, wird mit Gewalt überzogen. Putin fühlt sich dann ermuntert, den Krieg und die Annexion von Gebieten als probates Mittel seines Großmachtstrebens betrachten.
  • Auch das würde eine Verlängerung des Krieges bedeuten.
  • Verhandlungen sind der am wenigsten blutige Weg zur Beendigung des Krieges. Es braucht jedoch einen Verhandlungspartner, der ernsthaft verhandeln will. Den kann man nicht herbeireden. „Vor dem 24. Februar bot die Ukraine wiederholt Gespräche an, Russland lehnte ab… Solange Russlands Kriegsziel in der Zerschlagung der Ukraine besteht, ist eine Verhandlungslösung nicht möglich.“ (3)

Im Grundsatzprogramm von Bündnis 90/ Die GRÜNEN heißt es: „Ziel bleibt, durch eine Politik für Gewaltfreiheit mittel- und langfristig die politische Institution des Krieges zu überwinden.“

Widerspricht die Entscheidung für die Lieferung schwerer Waffen diesem Ziel? Ich denke nicht. Bündnis 90 /DIE GRÜNEN tragen jetzt Regierungsverantwortung. Sie haben bewiesen, dass sie reflektiert handeln und sowohl Scharfmacherei vermeiden als auch das Verstecken hinter starren Prinzipien. Auch wenn Gewaltfreiheit das Ziel bleibt, müssen verantwortungsvoll handelnde Politiker*innen immer 2 Seiten beachten.

  1. Schaden vom eigenen Volk fern halten
  2. An die jeweilige Situation angepasste Entscheidungen treffen. Das bedeutet heute, der Ukraine in ihrem Existenzkampf wirksame Hilfe und Unterstützung zukommen lassen.

Beide Seiten sind wechselseitig miteinander verknüpft. Es besteht kein Zweifel, dass in der Vergangenheit im Umgang mit Russland Fehler gemacht wurden und die NATO nicht der Friedensengel ist, als den sie sich gern darstellt. Dennoch steht für Bündnis 90/ DIE GRÜNEN fest: #StandWithUkraine

 

(1) Philosoph Habermas: Westen muss im Blindflug abwägen. t-online. Zugriff am 29.04.22 um 08:01 Uhr

(2) Unabhängige Grüne Linke. Offener Brief an die Grünen

(3) Dominic Johnson. Die Ukraine muss gewinnen. taz vom 06.05.22

 

Bärbel Falke