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Ein Skandal in drei Akten

1. Akt – Einladung und Absage

Götz Kubitschek und Gabriel Heimann laden mit einer gemeinsamen Mail die „Freunde unserer Arbeit … exklusiv zu einer Veranstaltung“ am Freitagabend, 25.11.22, ab 18.30 Uhr, in Pirna ein. „Anmeldung per Mail an Herrn Heimann ist zwingend notwendig“ (fett in der Mail gesetzt). Nur mit einer Bestätigung kann man auf den nach Meinung der Veranstalter begehrten Plätzen im Napoleongewölbe dem Vortrag von Herrn Kubitschek lauschen. „Deutschland, Ende 2022 – 10 Bilder“ lautet das Thema für den „Verleger und Publizisten, [nach eigenem Bekunden] ein machtloser Beobachter“ (Zitate aus der Einladungsmail).

Nach zwei Tagen emsiger Geschäftigkeit von Herrn Heimann vor und im Gebäude klebt am 25.11.22 abends an der Tür zum Veranstaltungsort folgender Anschlag: „Das Napoleongewölbe bleibt heute aufgrund von Krankheit geschlossen.“

Rätselhaft! Ein Gewölbe kann erkranken? Hat sich Herr Kubitschek auf seinem Rittergut Schnellroda (Sachsen-Anhalt) beim Energiesparen verkühlt? Oder hat Herr Heimann aufgrund vereinsinterner Diskussionen kalte Füße bekommen und Herrn K. ausgeladen, was wir sehr begrüßen und weiterhin dringend einfordern?

2. Akt – Bundesweiter Paukenschlag sorgt am 07./08.12.22 für Aufregung und Aufhorchen bezüglich der rechtsextremen Szene

Bewaffnete und gewaltbereite „Reichsbürger“, ehemalige BW-Soldaten und Polizisten, Rechtsanwälte, Politiker etc. haben sich um skurrile Personen gruppiert, um den Umsturz zu betreiben. Sie sind nach langen Beobachtungen mit immensem Aufwand der Exekutive im Staat ausgehoben und dem Untersuchungsrichter zugeführt worden. Th. Haldenwang, Präsident des Verfassungsschutzes, kommentiert im Nachgang mit Blick auf die Gruppe um den Prinzen Reuß: „Das aufgedeckte Netzwerk ist ein Musterbeispiel für die Herausbildung einer neuen gewaltorientierten Mischszene, in der Reichsbürgerideologien, Verschwörungserzählungen aus dem Bereich der Delegitimierer und rechtsextremistische Narrative zusammenfließen“ (Tagesschau, 08.12.22).

Liest Herr Heimann keine Zeitung oder sieht Nachrichten? Passt sein Vortrag noch in die Zeit? Hat er keine Bedenken hinsichtlich seines Freundes aus gemeinsamer Arbeit? Denn er müsste eigentlich wissen, dass „Herr Kubitschek seit Jahrzehnten Spiritus Rector der Nationalrevolutionäre in Deutschland, Vordenker der Neuen Rechten, ein Strippenzieher hinter der kulturellen Revolution von rechts, Netzwerker und Theoriearbeiter, Entwickler von Strategien für die Politik der AfD ist, dass er mit seinem Institut die kulturelle Hegemonie erobern will.“ (Zitat aus „Das Netzwerk der Neuen Rechten“, Rowohlt Polaris, S. 48).

3. Akt – „Drahtseilakt zwischen notwendiger Offenheit und taktischer Maskierung“

(G. Kubitschek, s. MDR exakt, https://www.youtube.com/watch?v=CfdgakhvPCA)

Im Napoleongewölbe bleibt es heute dunkel. Aber per Flüsterpropaganda ist offensichtlich zu einer neuen Veranstaltung an einem anderen Ort mobilisiert worden. Besucher*innen finden sich am Freitag, 09.12.22, 18.30 Uhr, in der mit Vorhängen gegen Beobachter*innen abgeschirmten Steinmetz-Werkstatt von G. Heimann am Steinplatz ein. Wenn Herr Kubitschek, wie vorgesehen, als Redner vor Ort gewesen sein sollte, würde dies zur Strategie der Neuen Rechten passen, wie sie von ihm selbst maßgeblich formuliert wird: Öffnung in alle Bereiche der Bevölkerung (Hauptzielgruppen: Vereine) ist notwendig, wenn man den Umsturz erreichen will (vgl. auch Ein Prozent). Aber bis es soweit ist, ist es manchmal pragmatischer, eine Maskerade zu veranstalten.

Gabriel Heimann, Kubitscheks Freund vor Ort

Die Verantwortung vom Vorstand ‚Freie Wähler – Wir für Pirna’ beginnt hier und jetzt. Nachdem während der öffentlichen Veranstaltung am 03.10.22 auf dem Marktplatz schon von der AfD bekannte Phrasen zum Besten gegeben wurden, gilt es, dem Kontinuum sofort zu begegnen und klare Kante gegen rechtes Gedankengut und deren Netzwerker zu beziehen.

Der Steinmetz und Bildhauer G. Heimann ist eines der Vorstandsmitglieder innerhalb der Unternehmergilde des Vereins ‚Freie Wähler – Wir für Pirna’ (https://www.freiewaehler-pirna.de/team/vereinsvorstand/). Er ist für die Bereiche Schule und Soziales zuständig. Die Homepage des Vereins (im übrigen Bundesgebiet firmieren die Freien Wähler meistens als Partei, in Pirna legen sie seit dem Desaster um die Aufstellung der Bewerberliste für die Kommunalwahl 2019 Wert auf den Vereinsstatus und bezeichnen sich im OB-Amt sowie Stadtrat als „parteilos“) weist zu den Arbeitsschwerpunkten des Herrn Heimann keine programmatischen Aussagen auf.

Was veranlasst G. Heimann, „Freunde unserer Arbeit“ zu einem Vortrag des Leiters des selbsternannten „Institut für Staatspolitik (IfS)“ nach Pirna einzuladen? Hat er Steine oder ein Relief am Rittergut erneuert und ist damit in Schnellroda beruflich aktiv? Oder verbindet ihn Mentales mit G. Kubitschek? Wie sehen die 10 Szenarien aus, die die beiden Herren in ihrer Veranstaltung bebildern wollen? Schreibt Herr Heimann sich die bäuerlichen Selbstversorger-Gemeinschaften (ohne Migranten oder Flüchtlinge) zukünftig auf seine Fahne oder möchte er altertümliche Volkslieder singende Männerchöre im Stadtbild etablieren oder doch lieber auf Eltern einwirken, ihren Kindern wieder altgermanische Vornamen zu geben? Oder will er für den von rechts propagierten Ethnopluralismus werben, der zwar unterschiedliche Ethnien akzeptiert, aber nur wenn sie in ihren angestammten Regionen verbleiben? Ist er einverstanden damit, dass das Land mit starker Hand geführt werden würde, zwar nur von wenigen, die aber für sich die Vertretung des „Volkswillens“ in Anspruch nähmen, um die ständige Diskussion in Parlamenten zu ersetzen. So hat Herr Kubitschek mal Teile seiner Vision von einem zukünftigen Deutschland nach der von ihm initiierten Restauration ausgemalt (aus „Das Netzwerk der Neuen Rechten“, Rowohlt Polaris, S. 48). Ernsthaft, Visionen für die Demokratie, im Bildungs- oder Sozialbereich für Pirna?

Wir wollen es wissen und im Zweifelsfall demokratisch bekämpfen, zumal wenn erneut ein Mitglied des Vereins ‚Freie Wähler – Wir für Pirna’ Chef im Rathaus werden möchte. 

Das Spinnennetz rund um uns herum – auch in Pirna bedrohlich nahe und aktiv

‚Ein Prozent für unser Land’ heißt seit 2016 der Dachverband, u. a. initiiert von G. Kubitschek, der die Neue Rechte durch die Spenden-Akquise, Informationsplattform und (Gründungs)Unterstützung lokaler Gruppierungen stärken soll. Zentrale Vokabeln sind Widerstand, bürgerliche Mitte und Überwindung des Systems. Das Rittergut in Schnellroda ist die Basis für den Think Tank, Begegnungsstätte und Schnittstelle, Ausbildungsort für viele Aktivist*innen, die das Gedankengut von hier in ihre Gruppierungen tragen. B. Höcke und andere AfDler*innen sind gern gesehene Gäste im Haus, andere verdanken dem IfS ihre Karrieren. Verlag und Zeitschrift helfen, vergleichbar bei den weiteren Protagonisten, dass Theorien und Handlungsanweisungen multipliziert werden. Der Verfassungsschutz in Sachsen-Anhalt stuft das Treiben im IfS als rechtsextremistisch ausgerichtet ein.

Pro Patria Pirna

Lokale Zusammenschlüsse, u. a. in Form von Vereinen, sollen dazu beitragen, dass „extrem rechtes Denken in der Alltagswelt verbreitet wird und sich an der Basis verwurzelt.“ (Sachsen rechts unten, 2019, S. 12). In Pirna und Umgebung ist der Verein ‚Pro Patria Pirna’ entstanden, eine Initiative von acht lokalen, mittelständischen Unternehmern, deren Namen aus der Homepage verschwunden sind (Sachsen rechts unten, 2019, S. 18, https://www.einprozent.de/wir-im-widerstand-pro-patria-pirna, zuletzt aufgerufen am 14.12.22). Tim Lochner (AfD) und der Unternehmer Daniel Heimann, auch ein Kubitschek-Freund, bekannten / bekennen sich zu ihrer Mitgliedschaft (S. Michel, „Montags in Dresden“, Solo-Film GmbH/MDR/RBB, 2017). In Erscheinung getreten sind Vereinsmitglieder zum ersten Mal 2015 durch eine Aktion am Osterbrunnen auf dem Marktplatz und durch Proteste gegen das Hissen der Regenbogenfahne vor dem Landratsamt in Pirna (https://www.saechsische.de/unternehmer-nehmen-anstoss-an-regenbogenfahne-3462786.html, zuletzt aufgerufen am 14.12.2022).

Relativierung von Geschichte

Aktuelle Aktivitäten belegen die Strategie, die die Neue Rechte in Verbindung mit der AfD umsetzen will, und die ist absolut perfide: Seit 1953 steht das 1947 geschaffene VVN-Denk-Mal im Grünzug an der Grohmannstraße, um alle Bürger*innen jeweils am 27. Januar zu versammeln und der Opfer von Faschismus und Nationalsozialismus, auch derer aus bzw. in Pirna, zu gedenken. ‚Pro Patria Pirna’ bzw. die örtliche AfD nehmen das Attentat am Berliner Breitscheidplatz (19.12.2016), dem leider 13 Menschen zum Opfer fielen, zum Anlass, jährlich am 19.12. eine ‚Feier’ mit Kranzniederlegung an diesem Mahnmal durchzuführen. Ziel dieser übergriffigen Instrumentalisierung ist zum einen, das gewachsene geschichtliche Bewusstsein (Verantwortung gegenüber den von Deutschen begangenen Morden an Millionen Menschen) Schritt für Schritt zu relativieren und zu löschen (Vogelschiss [A, Gauland] etc.). Zum anderen dient die Provokation dazu, Grenzen im öffentlichen Diskurs zu verschieben, gesellschaftlich verankerte Tabus zu brechen.

Klassifizierung von Menschen

Ein weitere Strategie (Ausspielen von Bevölkerungsgruppen, Mobilisierung von „besorgten Bürger*innen“) ist z. Zt. in unserer Nähe zu beobachten. Der Verein „Dresdner Bürger helfen Dresdner Obdachlosen und Bedürftigen“, ebenfalls im Kontext von ‚Ein Prozent’, agitiert in Dresden gegen die Diakonie, die Stadtmission und die Bahnhofsmission, weil sie angeblich nicht den “richtigen“ Obdachlosen helfen (SZ, 3./4.12.2022, S. 7). Ähnliche Zwischentöne, die Menschen klassifizieren, abwerten, ausgrenzen und zudem noch mit Panikgerede für die Mobilisierung von Wütenden instrumentalisieren, waren auch in Pirna bei Demonstrationen der letzten Zeit zu hören – eine Entwicklung, die zutiefst zu verdammen ist.

Fazit

Bündnis 90 / Die Grünen Pirna fordern den Vorstand der ‚Freien Wähler – Wir für Pirna’ auf, öffentlich zu den Vorgängen um G. Heimann Stellung zu beziehen und sich von möglicher gedanklicher Nähe gen rechts zu distanzieren. Besonders interessant für die Wählerinnen und Wähler dürfte sein, welche Position Herr Thiele, Kandidat für das Amt des Oberbürgermeisters in Pirna, zu den Querverbindungen und den Konsequenzen daraus einnimmt.

Wir erwarten, dass der Vorstand, die Vereinsmitglieder und die den Verein nach außen vertretende Stadtratsfraktion alles dafür tun, dass unser demokratisches System weiterhin funktionieren kann. Wir alle müssen in unserem Land auf der Basis des Grundgesetzes und der darin festgelegten Gewaltenteilung friedlich und sozial-integrativ zusammenleben können.

 

Quellen:

Chr. Fuchs, P. Middelhoff „Das Netzwerk der Neuen Rechten“ Rowohlt Polaris, 2019

Kulturbüro Sachen e. V. „Sachsen rechts unten, 2019“ (www.kulturbuero-sachsen.de)

MDR exakt – Dokumentation über das IfS in Schnellroda (https://www.youtube.com/watch?v=CfdgakhvPCA, zuletzt aufgerufen am 13.12.2022)

Analyse „Reichsbürger“-Szene, Titel „Gefährliche Mischung“, Tagesschau, 08.12.2022, 17.26 Uhr (https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/reichsbuerger-szene-101.html, zuletzt aufgerufen am 13.12.2022)

 

Autor: Dieter Wiebusch