Haben die Freien Wähler in Pirna ein Demokratieproblem?

Die Vereinigung der Freien Wähler in Pirna sieht sich gern in der Mitte der Gesellschaft. „Wer nur links und rechts kennt, kommt keinen Schritt voran“,  ist ihr Slogan.

Ein harmloser Vortrag?

Soweit, so gut. Die ins Schaufenster gestellte Politik von Maß und Mitte bekommt jedoch tiefe Risse, wenn deutlich wird, wo sich einige FW u. a. ihr geistiges Rüstzeug besorgen. So lädt ein Vorstandsmitglied für den 25.11.22 ins Napoleongewölbe in die Töpfergasse zu einem Vortrag ein. Der Referent ist Götz Kubitschek. Kubitschek ist vor allem in rechten Kreisen kein Unbekannter. Er ist Mitbegründer des rechtsextremen Instituts für Staatspolitik (vom Landesamt für Verfassungsschutz als „gesichert rechtsextreme Gruppierung“ eingestuft), Geschäftsführer des Antaios- Verlages, Redakteur der Zeitschrift Sezession, mitverantwortlich außerdem für die inhaltliche Konzeption der Ein – Prozent – Bewegung (zu der auch Pro Patria Pirna gehört) und der Identitären. Er trat mehrfach als Redner bei Pegida auf und pflegt ein enges freundschaftliches Verhältnis mit Björn Höcke. Seit 2021 wird der Antaios – Verlag vom Verfassungsschutz als Verdachtsfall für Rechtsextremismus beobachtet.

Ein rechter Vordenker und Demokratieverächter

Kubitschek sieht sich als Vordenker eines rechtsintellektuellen Milieus in Deutschland, dem er „geistiges Manna“ (Björn Höcke) https://www.cicero.de/innenpolitik/neue-rechte-signale-aus-der-steinzeit verabreicht. Ein großes Vorbild sieht er im Schriftsteller Ernst Jünger, der in einem seiner Frühwerke konstatierte: „Ich hasse die Demokratie wie die Pest.“ (1)

Auch Kubitschek verachtet die Demokratie mit ihrem Herzstück, dem Diskurs, der Debatte, dem Austausch von Meinungen: „Wozu sich erklären? Wozu sich auf ein Gespräch einlassen, auf eine Beteiligung an einer Debatte? Weil Ihr Angst vor der Abrechnung habt, bittet Ihr uns nun an einen Eurer runden Tische? Nein, diese Mittel sind aufgebraucht, und von der Ernsthaftigkeit unseres Tuns wird Euch kein Wort überzeugen, sondern bloß ein Schlag ins Gesicht.“ (2)

Ein Schlag ins Gesicht, ernsthaft? Was soll das für eine Gesellschaft sein, in der nicht mehr debattiert, sondern ins Gesicht geschlagen wird?

Während Kubitschek mit solchen Äußerungen und seinen Schriften gegen demokratische Werte und Institutionen die Neue Rechte in Deutschland aufmunitioniert, gibt er sich gern bürgerlich und einfach nur konservativ.

Naivität oder Vorsatz?

Wir fragen uns: Sind die FW in Pirna dieser Fassade auf den Leim gegangen oder tolerieren sie wissentlich in ihrer Mitte und sogar ihrem Vorstand demokratiefeindliche Gedanken und Handlungsmuster.

Wer sich von Rechten geistige Unterstützung holt, wer sich im scheinbar vorpolitischen Raum mit antidemokratischen, antiliberalen und national-völkischen Positionen versorgen lässt und parallel die Mitte ins Schaufenster stellt, verliert an Glaubwürdigkeit und muss sich gefallen lassen, dass diese geistige Nähe auch benannt wird. Wie steht eigentlich der OB – Kandidat der FW, Ralf Thiele, zur Einladung von Kubitschek und dessen demokratiefeindlichen Positionen?

Nachtrag

Übrigens: Der Vortrag fand am 25.11.22 nicht statt. Ein Zettel an der Eingangstür verkündete, dass das Napoleongewölbe wegen Krankheit geschlossen bleibt. Ein neuer Termin wurde offensichtlich schnell gefunden. Am 09.12. blieb das Napoleongewölbe jedoch wiederum dunkel. Wir werden uns jetzt nicht in Mutmaßungen ergehen, warum G. Heimann, der Kubitschek eingeladen hatte, am 09.12.22 die Fenster seiner Werkstatt mit Bettlaken verhängte und zahlreiche Besucher nur nach telefonischer Voranmeldung eintreten durften. Wir fragen uns allerdings nach der Einladung von Kubitschek weiter: Haben die Freien Wähler in Pirna ein Demokratieproblem?

 

Dr. Bärbel Falke

Sprecherin des Stadtverbandes Bündnis 90/ DIE GRÜNEN

(1) Helmuth Kiesel: Ernst Jünger. Die Biographie. Siedler. München 2007, S.229

(2) Andreas Speit:Mit Rechten reden? In: Die Zeit, Januar 2022, abgerufen am 16. November 2022)