Missbrauch eines Symbols

Mit falschen Federn geschmückt

Nach dem selbstgefälligen Beschluss, die Regenbogenfahne nicht mehr in Pirna wehen zu lassen, hat sich OB Tim Lochner als zweite Amtshandlung um eine neue Fahne fürs Rathaus gekümmert. Er ordnet sich damit ein in die bundesweite „Nebelkerzen“-Kampagne der AfD: AfD, die einzige Friedenspartei. Er hat eine hellblaue Fahne mit der Friedenstaube vor dem Rathaus aufhängen lassen. Wie die AfD in Europa (Krah) und im Bund (Chrupalla, Kotré), versucht er, die „Marke Friedensbewegung“ zu okkupieren und bemächtigt sich dabei des Symbols der weißen, vom Kommunisten Pablo Picasso 1949 gestifteten Taube. Picasso zeichnete die Taube für den ersten „Weltkongress der Kämpfer für den Frieden“, die ein „Nie wieder“ nach dem (Bürger)Kriegsterror der Nazis in Frankreich und Franco-Faschisten in Spanien proklamierten. Die traditionelle Friedensbewegung war und ist immer linksorientiert sowie antifaschistisch ausgerichtet und hat mit Lochner wie auch seinen Freunden nichts gemein.

Lochner fügt sich ein

Der neue OB ist nicht allein, wenn er der Parteilinie folgt. Auf die Frage, ob es weitere Städte oder Gemeinden in Deutschland gäbe, die die „Friedensfahne“ vor den Rathäusern gehisst hätten, verweist er auf Oelsnitz / Vogtland. Dort hat der sächsische AfD-Landtagsabgeordnete U. Lupart eine am 22.03.24 aufgehängt, als der OB M. Horn (CDU) im Urlaub weilte (eigene Mitteilung Lupart).

Lochner gegen die Mehrheit der Bevölkerung

Bemerkenswert und verräterisch sind die Begründung bzw. Motive für Lochners Handlung: „Wenn man die Nachrichten verfolgt und man sieht, wie in Berlin parteiübergreifend kriegsbefürwortende Forderungen aufgestellt werden, ist es mir wichtig, dass dieses Symbol vor meinem Amtssitz hängt.“ (Wochenkurier, 23.03.24). Besser kann man Verschwörungsideologie nicht in einen Satz pressen. Tim Lochner aus Pirna gegen die da oben in Berlin mit ihrem angeblich kriegslüsternen Gerede und Tun. Wenn er dann noch die durch „Pirnas Gassen wehende Symbolkraft“ bemüht, die das „friedliche Miteinander der Stadtgesellschaft fördern“ soll, dann weiß er, dass er tatsächlich mit seiner Handlung spaltet. Denn die Mehrheit der Bevölkerung im Land denkt und fordert etwas Anderes.

Frieden in Freiheit

Es ist Putin, der russische Diktator, der seit mehr als zwei Jahren den verbrecherischen Angriffskrieg gegen die selbstständige Ukraine führt. Er verantwortet das Sterben von Soldatinnen und Soldaten auf beiden Seiten, der russischen wie auch der ukrainischen. Er wohnt in seinem Kreml-Bunker, abgeschottet und geschützt von Polizei und Armee. Er hat in seinem Land die unabhängige Justiz und Presse eingehegt bzw. verboten, lässt die Opposition und Andersdenkende gnadenlos verfolgen und einsperren, vergiften, aus Fenstern oder Flugzeugen stürzen. Er hat seinem Land die Kriegswirtschaft verordnet, steckt alles an Ressourcen vorrangig in die Bewaffnung und träumt bzw. schreibt von der Wiederherstellung Groß-Russlands. Er allein hat es in der Hand, die Waffen schweigen zu lassen und seine Truppen aus der Ukraine abzuziehen. Dann wäre Frieden in Freiheit möglich, die Wiederherstellung des von Putin einseitig gebrochenen Völkerrechts und des souveränen Staatsgebiets der Ukraine (weitere Gedanken dazu in der sehens- / hörenswerten Video-Botschaft von Dr. Robert Habeck).

AfD, eine in sich zerstrittene Partei der Putin-Versteher

Solange Verursacher (Putin) und Opfer (die Bevölkerung der Ukraine) des Angriffskriegs nicht klar benannt werden, ist jeglicher Einsatz für den Frieden unglaubwürdig. Auch der von T. Lochner mit seiner Symbolik.

Während der Präsidentschaftswahlen in Russland waren keine Wahlbeobachter der OSZE zugelassen. Aber gegen den opportunistischen, parteiinternen Widerstand von Chrupalla und Weidel sind u. a. führende Vertreter*innen der AfD nach Moskau gereist. Sie biedern sich Putin an und stellen in den Propaganda-Fernsehshows bereitwillig fest, dass „die Wahlen offen, demokratisch und frei seien, u. a. wegen der transparenten, gläsernen Wahlurnen und der Kameras in den Wahlräumen“ (O. Petersen [AfD], Hamburger Bürgerschaft). H.-T. Tillschneider (AfD-Vize in Sachsen-Anhalt) schreibt: „Herzlichen Glückwunsch an ihn und an das russische Volk. Ich wäre froh, wenn unsere Regierung unsere Interessen so wahren würde wie Putin das Interesse des russischen Volkes“ (Tageschau und TAZ).

Die AfD gibt sich in ihrem Programm national-pazifistisch und gleichzeitig militaristisch. Sie lehnt Auslandseinsätze der Bundeswehr ab, wenn sie keine unmittelbaren Vorteile für das deutsche Volk erkennen kann. Sie lehnt Waffenlieferungen an die Ukraine ab (weil nicht in deutschem Interesse). Sie befürwortet die NATO und die deutsche Aufrüstung innerhalb der NATO, weil dies „den außen- und sicherheitspolitischen Interessen Deutschlands“ entspricht und Deutschland „auf diesem Weg mehr Gestaltungsmacht und Einfluss“ entfalten kann. Während der Europawahlversammlung im Juni 2023 konnte sich B. Höcke nicht mit seiner Ablehnung der NATO durchsetzen. In der Präambel zum EU-Wahlprogramm heißt es jetzt lediglich: „Jegliche Dominanz außereuropäischer Großmächte in der europäischen Außen- und Sicherheitspolitik lehnen wir ab.“ Die europäischen Staaten sollten stattdessen aufrüsten, um ohne die USA wehrhaft zu sein (zitiert aus Artikeln, erschienen im Portal der Informationsstelle Militarisierung).

Lochner entsolidarisiert

„Die 40.000 (Einwohner*innen Pirnas) sind künstlich erreicht worden durch die Ukraine-Flüchtlingswelle“, formuliert T. Lochner am 15.11.23 im SZ-Wahlforum während des OB-Wahlkampfs und zeigt u. a. damit seine Haltung gegenüber dem Krieg in der Ukraine und den vom Kriegsleid geplagten Ukrainerinnen und Ukrainern. Dieses Land verteidigt seine Freiheit und Souveränität, sein Gesellschaftsmodell, das Putin fürchtet und deshalb hasst sowie auf jeden Fall eindämmen will. Seit 2022 hat sich die Bevölkerung Pirnas mit den Menschen in der Ukraine solidarisch erklärt, hat Geflüchtete aufgenommen, hat Spenden gesammelt und in die Ukraine transportiert, um den Abwehrkampf zu unterstützen. Die ukrainische Flagge hat vor dem Rathaus geweht. Wenn sich Lochner nun mit seiner Begründung für die „hellblaue Friedensfahne“ gegen die staatliche Unterstützung aus Deutschland stellt, kündigt er gleichzeitig die Solidarität zum ukrainischen Volk auf.

Die atomare Erpressung

Seit langem droht Putin bei Konflikten mit dem Einsatz der russischen Atomwaffen. Russland versucht, die Ukraine (und die Staaten im Westen) mit den Atomwaffen unter Druck zu setzen, die die Ukraine der Russischen Föderation per „Budapester Memorandum“ 1994 im Tausch gegen die Zusicherung der staatlichen Souveränität überlassen hatte. Was wäre, wenn die Ukraine sie behalten hätte? Was für eine Absurdität, wenn man die Bedeutung für die Menschheit berücksichtigt.

Bürgermeister für den Frieden

Die „Bürgermeister für den Frieden“ engagieren sich seit 1982 auf Initiative der Stadtoberhäupter von Hiroshima und Nagasaki für die weltweite, atomare Abrüstung. Der Gedanke – Bürgermeister sind für die Sicherheit und das Leben ihrer Bürgerinnen und Bürger verantwortlich – vereint inzwischen weltweit 8234 Mitgliedsstädte in 166 Ländern der Welt, 845 davon in Deutschland. Während des Ukraine-Kriegs sind 100 Städte in der Bundesrepublik Deutschland der Vereinigung neu beigetreten. „Mayors for Peace“ will die Verhandlungen zum UN-Atomwaffenverbotsantrag mit ihren Aktivitäten zum erfolgreichen Abschluss begleiten. Hier handeln Städte und ihre Bürgermeister gegen das Grundübel unserer Zeit, die atomare Bewaffnung, die von Putin aufgrund vorhandener Erst- und Zweitschlagkapazitäten als erpresserische Drohung gegen die Menschen genutzt wird.

Mit seinem Austausch der offensichtlich ungeliebten, grün-weißen gegen die blaue Fahne verabschiedet sich T. Lochner für Pirna aus dieser erlesenen Gruppe. Was für eine Zumutung! Erst recht, wenn man die Begründung liest: „Die grün-weiße Flagge dürfte den meisten Bürgern weitgehend unbekannt sein.“ Pirna ist seit 2005 Mitglied in der Organisation „Mayors for Peace – Bürgermeister für den Frieden“, und Ex-OB Hanke hatte seitdem die grün-weiße Flagge regelmäßig vor dem Rathaus gehisst (SZ, 28.03.2024).

Der Stadtrat von Pirna sollte dringend das vermeintliche Hausrecht des neuen OBs T. Lochner in Flaggen-Fragen einschränken. 

 

Autor: Dieter Wiebusch