Nützliches (?) Feigenblatt

Omid Najafi als Redner zu Gast in Pirna

Jede und jeder in Pirna ahnt sofort, dass der Auftritt von Omid Najafi in der guten Stube des Marktplatzes als Feigenblatt dienen soll. Ein „Feigenblatt“ ist ein „Gegenstand“, der „vor etwas gestellt wird“, um es „absichtlich zu verbergen“ und so dessen „moralisch angreifbare Eigenschaft nicht gewahr werden“ zu lassen (Wikipedia, 16.04.24).

„Bevölkerungsaustausch“, „Umvolkung“, ach was!

Im Gegensatz zum Auftritt von M. Krah im Oktober 2023, wo mit „Bevölkerungsaustausch“ und „Umvolkung“ geworben wurde, verschleiert die AfD Pirna dieses Mal Inhalt und Ziel der Veranstaltung. Die AfD Pirna verspricht stattdessen in bestem Deutsch, dass sie was kann („AfD KANN PIRNA“), und lädt das AfD-Mitglied im Niedersächsischen Landtag mit den Stichworten Wirtschaft, Verkehr, Bauen, Digitalisierung nach Pirna ein. Weil sie und ihre Wähler*innen da echten Nachholbedarf haben!

Der Versuch, als normal zu gelten

Najafis Auftrag für die AfD: „aber normal“. Nichts mit „Deportation“ und „Ethnopluralismus“!

 Oder indirekt vielleicht schon?!! Die Stadtgesellschaft in Pirna bekennt sich zu Offenheit, Buntheit und Solidarität. Ein Unding für die AfD. Mit diesem nützlichen Zeitgenossen, einem in Sachsen und darüber hinaus unbekannten, muslimischen AfD-Mitglied möchte die AfD Pirna dagegen halten, damit die von ihr ersehnte Normalität eintritt. Ein Migrant aus der zweiten Generation spricht für die AfD, und schon ist alles normal, wie sonst auch.

Erwiesen rechtsextremistisch

Auf die Idee mit dem alles vertuschenden Feigenblatt kommt die AfD Pirna (erst) jetzt, obwohl für sie die Problembeschreibung ja schon längst offen zutage liegt, nämlich erwiesen rechtsextremistisch zu sein. Sie bemüht sich nun, konsequent an der Seite der Bundes-AfD zu stehen und mit der Rednerwahl Einfluss zu nehmen. Nicht so sehr auf die Menschen in Pirna, sondern vielmehr auf die Rechtsprechung des OVG Münster. Im Prozess zwischen Verfassungsschutz und Bundes-AfD soll die Festlegung des bundesweiten Beobachtungsfalls AfD kurz vor entscheidenden Wahlen abgewendet werden. Liebe Richter*innen, wir sind doch in der Normalität angekommen. Wir lassen sogar einen Muslim für uns sprechen.

Omid Najafi, aus dem Iran stammende Eltern, in Deutschland geboren

Offen wirbt Omid Najafi für sich als Besonderheit: „Für Leute, die uns Rechtsradikalismus vorwerfen, bricht eine Welt zusammen, wenn sie mich sehen.“ (RUNDBLICK, Politik für Niedersachsen, 208, 23.11.2022)

So schlicht: ein Mensch, dem jede/r seinen migrantischen Ursprung ansehen kann, bei der AfD?! Dann kann die AfD nicht extrem rechts sein, kann nicht die Deportation von Menschen mit Migrationshintergrund offen fordern. Derselbe Versuch wurde von der AfD, zum Glück erfolglos, schon mit einer anderen Bevölkerungsgruppe gestartet: Wenn Jüd*innen bei der AfD tätig sind, dann kann die AfD nicht antisemitisch sein.

Was sagen die Programme?

Die Aussagen der AfD zur von ihr unterstellten „Umvolkung“, zum Islam und zur „kulturellen Identität“, die anstelle des „Rasse-Begriffs“ getreten ist, sind über die Jahre hinweg immer eindeutiger und zielgerichteter geworden, wie die Zitate aus den entsprechenden, beschlossenen Programmen aufzeigen.

 

1<Alternative für Deutschland, Programm für Deutschland. Das Grundsatzprogramm der AfD>, Stuttgart, 2016, S. 47

2<Alternative für Deutschland, Programm für Deutschland. Wahlprogramm der AfD für die BT-Wahl am 24.09.2017>, Köln, 2017, S. 34

3<Alternative für Deutschland, Deutschland. Aber normal. Programm der AfD für die BT-Wahl 2021>, 2021, S. 158

4<Alternative für Deutschland, Konzept zur Sozialpolitik des 11. Bundesparteitages der AfD in Kalkar>, 2020, S. 15

Was sagen führende Personen aus der AfD?

Wichtig, u. a. auch für die Einstufung als extrem rechte Gruppierung, sind neben der festgelegten Programmatik die Formulierungen, die führende Kräfte der AfD (A. Gauland, A. Weidel, B. Höcke, T. Lochner, für die AfD Pirna) zu Protokoll geben, und die Einschätzung, ob z. B. auf Parteitagen nennenswerte Teile der Partei Gegenpositionen beziehen und entsprechend abstimmen. Zum Abstimmungsverhalten ist zu beobachten, dass die Zusammensetzung der Parteikreise immer monolithischer wird, Strömungen um Lucke, Petry, Meuthen sich aufgelöst haben und parteiinterner Widerstand nicht vorhanden ist.

 

5https://www.afd.de/alexander-gauland-erschreckende-zahlen-der-bevoelkerungsaustausch-laeuft/

6https://zdf.de/nachrichten/politik/weidel-email-afd-10-jahre-100.html

7Björn Höcke „Nie zweimal in denselben Fluss“, Berlin, 2018, S. 255 – 258

8Tim Lochner „Lochner kann Pirna“, Wahlkampfzeitung, 2023

9Sächsische Zeitung „Wer ist dieser erste OB für die AfD?“, 19.12.2023

10SZ-Wahlforum zur Oberbürgermeisterwahl, 15.11.2023, ab Minute 40

Weitere Quelle: Hendrik Cremer „Je länger wir schweigen, desto mehr Mut werden wir brauchen“ – wie gefährlich die AfD wirklich ist“, Berlin Verlag, 2024

 

Fazit

Sowohl in den Schriften als auch im Wort wendet sich die AfD gegen die im Grundgesetz garantierte „Würde des Menschen“, den Achtungsanspruch und die damit verbundene Rechtsgleichheit aller Menschen. Sie beschreibt und fordert den Vorrang des national-völkisch definierten deutschen „Volkes“. Dabei wird deutlich, dass „Volk“ nach rassistischen Kriterien geprägt ist. In ihrer Programmatik und ihrem Handeln ist sie davon geleitet, eine „homogene Volksgemeinschaft“ zu erreichen, die auf dem „wir“ im Unterschied zu „den anderen“ bestehen muss. Die AfD definiert ein deutsches Staatsvolk auf der Grundlage der angeblich schon immer bestehenden deutschen Identität. Von daher ist dann der „Ethnopluralismus“ folgerichtig, den die Vordenker der sogenannten neuen Rechten formuliert haben, der die deutsche Ethnie als besondere definiert, andere Ethnien zwar aufführt, aber auf ihre ursprüngliche Lebensregion beschränkt wissen will. Daraus wiederum lässt sich die Forderung nach dem  Ausschluss all derer ableiten, die nicht der „einheimischen Kultur“ zuzuordnen sind, sie vielmehr vermeintlich gefährden. Wie die jüngste Vergangenheit („Potsdam-Leak“) zeigt, wird über den Weg zum Ausschluss noch mehr oder weniger der Mantel des Schweigens gelegt. „Deportation“ wird als „Re-Migration“ verharmlost, die wissenschaftlich seit langem definiert ist als freiwillige Rückkehr einer Migrant*in in ihr Heimatland. Und das, obwohl B. Höcke die „wohltemperierte Grausamkeit“ schon 2018 ins Schaufenster gestellt hat.

Die übergroße Mehrheit in der Partei befürwortet die nationale, auf das Völkische pochende Ausrichtung. Der Leitantrag zur Sozialpolitik wurde in Kalkar 2020 mit 90 %-iger Zustimmung verabschiedet. Das Wahlprogramm 2021 erhielt 100 %-Ja-Stimmen. Auch die „Erklärung zum deutschen Staatsvolk und zur deutschen Identität“, 18.01.2021, wurde von führenden Bundes- und Landesvertreter*innen ohne einschränkendes Votum verabschiedet.

Es wäre schon verwunderlich, wenn sich der Gastredner in Pirna seiner Funktion als nützliches Feigenblatt nicht bewusst wäre.

 

Autor: Dieter Wiebusch