Mentale Schottergärten

Kinder mit Weitblick

Fünfte Klassen am Friedrich-Schiller-Gymnasium Pirna haben eine Super-Initiative ergriffen (SZ, 24.03.2025). Die Schüler*innen sind einen Generationenvertrag eingegangen. Sie bepflanzten die städtische Ausgleichsfläche, die zwischen Elbe und Bahndamm liegt, mit Äpfelbäumen und leisteten damit ihren Beitrag für den natürlichen Schutz gegen den Klimawandel. Sie lernten als junge Gärtner*innen in diesem Bio-Projektunterricht für das Leben. Weil sie etwas von Nachhaltigkeit und biologischem Kreislauf verstanden haben, bauen sie darauf, dass sie Vorbilder für nachfolgende fünfte Jahrgangsstufen und die Bewohner*innen in Pirna sind. Sie wollen den Baumbestand in Pirna dauerhaft mehren. Weil sie wissen, dass jeder Baum zählt. Und weil sie wissen, dass ein Baum mehr ist als ein Baum. Sie fügen sich ein in die Baumpflanzungen für „Pirna 800“, der Aktion, die Pirna zur 800-Jahr-Feier grüner machen will.

AfD, Freie Wähler und SR Kurth schaffen Chaos

Gleichzeitig gibt es in Pirna die unheilige Allianz aus älteren Männern, die die 2021 eingeleitete, positive Entwicklung für die Gehölzflora in Pirna rückabwickeln wollen. Ältere Bäume sollen nach ihrem Antrag erst ab 1 m Stammumfang in 1 m Höhe dauerhaft geschützt sein. Pappeln, Birken, Baumweiden und abgestorbene Bäume, die als Nisthöhlen oder als rottendes Substrat für Fauna und Flora dienen könnten, fallen ganz durchs Raster. Nadelbäume, egal welcher Größe, bilden für die Versiegelungsschützer*innen einen besonderen Stein des Anstoßes und können weg. Und das, obwohl die Blautanne zunehmend der deutsche Weihnachtsbaum ist ;-). Auch Obstbäume, selbst heimische Arten, sollen gleich von Beginn ihres Lebens an keinen Schutzstatus haben. Die größere Katastrophe für die grüne Lunge Pirnas könnte jedoch die Streichung des bisherigen Gebots einer Ersatzbepflanzung bewirken. Fadenscheinige Argumentation im Änderungsantrag: Bäume könnten stören oder Schaden anrichten. Man hätte sie auf eigenem Grund gepflanzt und deshalb alleinige Verfügungsgewalt über sie. Wer bezahlt, bestimmt. Sind ja bloß Bäume. Die Weisheit des Volksmunds, die Ratsherr Herath (AfD, 26.03.2025) in seinem fragwürdigen Statement als Ausflucht bemüht hat, gilt zum Beispiel nicht für die selbst eingebaute Gas- / Ölheizung, die der Bezirksschornsteinfegermeister stilllegt, wenn sie den Abgasnormen nicht entspricht. Stimmt auch nicht beim eigenen Auto, wenn der TÜV Besitzer*in und Gefährt voneinander trennt.

Fast alle Gehölze in Pirna, die auf Privatgrundstücken stehen, wurden / werden nicht in eigener Entscheidung gepflanzt, gehegt oder gepflegt. Es sind vielmehr festgesetzte Auflagen im jeweiligen amtlichen Bebauungsplan, die explizit die Baum- und / oder Strauchanzahl pro m2 Grundstücksfläche, sowie Größe, Art laut Pflanzliste und Zeitpunkt der abgeschlossenen Bepflanzung bestimmen. Diese amtlichen Bebauungspläne haben mit ihren Naturschutzvorgaben dafür gesorgt, dass Grundstücke sich zu Grünzonen und Ruheinseln ergänzen, Paradiese für Vogel- und Insektenwelt sein können. In allen Bebauungsplänen, selbst im jüngst vom Rat (mit Stimmen von AfD- und FW-Fraktion) für Zatzschke / Mockethal beschlossenen B-Plan 90, lautet die weitergehende Formel: „Die Pflanzungen sind dauerhaft zu erhalten, entsprechend zu pflegen. Abgängige Pflanzen sind art- und qualitätsgleich zu ersetzen.“ Das ist übrigens nur ein Beispiel gravierender Setzungen für Eigentümer*innen durch Bebauungspläne. Mit dem vorliegenden Antrag stehen sich also die höherwertige Bebauungsplanung und die möglicherweise geänderte, örtliche Baumschutzsatzung in ihren Aussagen diametral gegenüber. Koalition der Abholzer, was macht ihr da?

Der Stadtverwaltung, verantwortlich für das Stadtgrün, wird unterstellt, dass sie ein Hindernis sei. Sie arbeite zu teuer und nicht sachgerecht, ihre Beratung sei weniger tauglich als die privater Gartenbaufirmen. Begründetes Misstrauen?? Die Stadtverwaltung wehrt sich mit Recht gegen das Urteil, wie die detaillierte Berichterstattung im Rat als Reaktion auf den Antrag belegt. Sie widerspricht aus der Sache heraus dem Antrag.

In seinem Redebeitrag (Pirna-TV, 25.03.25) behauptet der stellvertretende Bürgermeister R. Thiele (Freie Wähler), dass kein Schaden entstanden ist bzw. entstehen würde. Laut Verwaltung wurde in den letzten drei Jahren für 835 Bäumen der offiziell erforderliche Antrag auf Fällung gestellt. Wie groß ist die Dunkelziffer und damit der nicht kalkulierbare Schaden? Nur 84 Baumfällungen (10 %) wurden abgelehnt. Also konnten 750 Bäume offiziell gefällt werden. Die Bio-Leistung von 750 wahrscheinlich „erwachsenen“ Bäumen in Form von klimatisch unbedingt notwendiger CO2-Absorption, in Form von lebensnotwendigem Sauerstoff, in Form von Schatten, in Form von Verdunstung, in Form von Hitzeschutz, in Form von Lebensbereichen für Fauna und Flora ist vernichtet worden – ein immenser Schaden für Pirna. Zum Glück hat die Verwaltung nach bisher geltendem Recht auf Ersatzpflanzungen, in der Regel von 750 jungen, kaum Laub tragenden Bäumen bestanden. Wenn der Stadtrat dem Änderungsantrag folgen würde, gäbe es keinen Ersatz mehr, würde also doppelter Schaden entstehen!! Wie soll evaluiert werden, wenn überhaupt keine Anträge mehr gestellt werden müssen und damit auch keine Baumfällungen registriert werden können? Was ist ein „Schaden“ und wie soll er erfasst werden? Dazu fehlen Aussagen im Änderungsantrag sowie im Debattenbeitrag. Was für eine gedankliche Zumutung!

Baum-ab-Antrag ist aus der Zeit gefallen

Ratsherr Herath nimmt in seinem Statement am 25.03.25 (s. o.) einen Rückgriff auf das Grundsatzprogramm seiner Partei: 2. „Eine gesunde Umwelt ist die Lebensgrundlage für alle Menschen und zukünftigen Generationen.“ 3. „Naturschutz darf nicht zu Lasten der Menschen gehen.“ Das entspricht haargenau dem Denken früherer Jahrhunderte. „Machtet euch die Erde untertan!“, lautete die Formel, die den Raubbau an der Natur eingeleitet hat. Auf der Natur „fußt“ der höherwertige Mensch, Flora und Fauna dürfen ihn nicht in seinen Interessen behelligen oder gar ihn noch etwas kosten. Egozentrismus!

Der Mensch ist vielmehr ein systemisches Mitglied im Beziehungsnetz der Natur und fügt sich idealerweise ein in die Kreisläufe biologischen Lebens. Und jeder Mensch ist Bestandteil einer Gemeinschaft, in der ebenfalls Vernetzungen zum Vorteil des Ganzen bestehen und beachtet werden müssen (s. Foto aus Gohrisch). Die Natur kommt ohne den Menschen aus, aber der Mensch nicht ohne die Natur.

Die Intention des Antrags, jede/r kann nach eigenem Gusto schalten und walten, sich vom Natur-Kuchen nehmen, was jede/r für sich beansprucht, will eine wesentliche Rechtsnorm staatlichen Handelns auf den Kopf stellen. Die Rechtsprechung legt seit Jahren für alle Ebenen fest, dass Eingriffe in die Natur durch Ausgleichsmaßnahmen in ihrer schädlichen Auswirkung kompensiert werden müssen. Der Antrag versucht, das bewährte und dringend gebotene Vorsorge- und Ausgleichs-Prinzip auszuhebeln und damit in der ungeregelten Vergangenheit zu landen.

Ein Freiheitsbegriff, frei von Verantwortung

Was AfD, FW und Kurth hier fordern, ist die Freiheit von Verantwortung durch die Aussetzung von Regeln gemeinschaftlichen Lebens: Ich bin auf meinem Grundstück der Herr / die Frau, habe die Macht, ohne Eingrenzung und Rechtfertigung. (Was übrigens beim Bauen auf eigenem Grund im besonderen Maße nicht stimmt, s. o. Bebauungspläne). Der Einzelne soll ohne Rücksicht auf das Leben und Wohlergehen anderer abholzen können, was ihn stört. Ausleben von Wünschen, frei sein von Verantwortung, ist das Credo. Kommt einem aus der jüngeren Vergangenheit bekannt vor, oder!

Dies widerspricht dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts:

Jeder Baum zählt!

Das wissen nicht nur die Schüler*innen der fünften Klassen des Friedrich-Schiller-Gymnasiums in Pirna. Sondern auch all die Menschen und Organisationen, die sich bisher z. B. an „Pirna 800“ beteiligt haben. Sie haben völlig freiwillig verantwortungsbewusst gehandelt und gespendet. Prof. Harald Lesch hat im ZDF 2024  belegt, wie wichtig Bäume als natürliche CO2-Senken sind und in Zukunft sein werden. Eine 80-jährige Buche hat in ihrem Leben 1 Tonne CO2 aufgenommen. 800 derartige Buchen brauchen wir, um die Jahres-Emissionen von 10 Tonnen CO2 einer Pirnaer*in zu kompensieren.

Abholzen von Bäumen, erst recht Abholzen von Bäumen ohne Gebot einer Ersatzbepflanzung, ist sträflich, weil es nicht kostenfrei ist. Wenn ein Gehölz an der Infrastruktur Schaden anrichtet oder gefährlich sein könnte, muss man es natürlich nach Beantragung und Beratung entfernen können – das ist nicht das Problem, wenn man sich an die Regeln hält. Abholzen ohne Begründung und ohne Ersatz darf es auch weiterhin nicht geben. Es bürdet uns allen schon jetzt volkswirtschaftliche Kosten durch Dürreausfälle, Hitzestress und -tote, Hochwasser und Extremwetterereignisse etc. auf, die in ihren Intensitäten ansteigen werden. Noch können AfD, FW und andere Leugner*innen des Klimawandels bei uns darauf zählen, dass viele Menschen die Veränderungen unwissentlich auf die leichte Schulter nehmen. Sie kommen damit durch, weil beim Klimawandel Ursache (unser Beitrag zum Anstieg klimaschädlicher CO2-Emissionen) und Wirkung (z. B. Anstieg des Meeresspiegels, Extremtemperaturen) in unserer Wahrnehmung, zumindest in Mitteleuropa, noch getrennt sind. Das ist anders als beim Durchfall nach der Aufnahme schlechten Essens. Für Menschen auf Inseln im Pazifik oder in der Sahelzone gilt die fehlerhafte Illusion, es sei doch alles gut, schon längst nicht mehr.

 

Dieter Wiebusch