Von Friedens- und Umweltaktivitäten im Raum Pirna zum NEUEN FORUM bis hin zu Bündnis90 / Die Grünen

(C) Klaus Zantke
(C) Klaus Zantke

In den Jahren 1988 / 1989 gab es neben drei bemerkenswerten Gruppen im Raum Pirna verschiedene Einzelinitiativen. Die drei Gruppen im Raum Pirna waren die IPPNW-Gruppe (Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges – Ärzte in sozialer Verantwortung), der Ökumenische Umweltkreis beim Ev.-Luth. Kirchenbezirk Pirna und die Friedensgruppe der Ev.-Luth. Kirchgemeinde St. Marien in Pirna.

Wichtige Themen waren die Luftverschmutzung in Pirna, das Waldsterben im Erzgebirge – damals das größte Rauchschadensgebiet Europas -, die Verschmutzung der Gewässer, insbesondere der Elbe, die atomare Bedrohung durch das Wettrüsten und die zivile Nutzung der Atomkraft (fragwürdige Objekte waren der Reaktor in Rossendorf und die geheimen Bunker in der Herrenleithe).

Auch der Verfall und der zunehmende Abriss der mittelalterlichen Altstadt von Pirna oder die Geschichte der Tötungsanstalt auf dem Sonnenstein gehörten zu den Themen, die weitgehend tabuisiert waren und doch verschiedene Menschen dazu trieben, aktiv zu werden. Die Demokratisierung in der Sowjetunion (Glasnost und Perestroika) war Ermutigung, sich auch in der DDR für die Umgestaltung der Gesellschaft einzusetzen.

Neues Forum – eine der Vereinigungen, die aus dem wachsenden Unmut über DDR-Politik, fehlender Meinungsfreiheit, Verfall und Umweltschädigung hervorging. (C) Klaus Zantke
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Die Friedensgruppe der Ev.-Luth. Kirchgemeinde St. Marien in Pirna entstand 1983 im konziliaren Prozess, einer weltweiten christlichen Bewegung für Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung. Über die Jahre hatte sich die Gruppe in kirchlichen und privaten Räumen den verschiedensten Themen gewidmet.

Ab April 1989 ging die Gruppe neue Wege. Ab jetzt traf man sich öffentlich. An jedem Donnerstagabend um 18.00 Uhr wurde ein Banner zwischen die Säulen der Hospitalkirche gehängt, auf dem stand:

Zusammensetzen –  Auseinandersetzen
Die Friedensgruppe St. Marien lädt herzlich ein

Bei Tee und Fettbemmen kam man ins Gespräch, meist war ein kleines Impulsreferat zu aktuellen Themen vorbereitet. Was damals besprochen wurde ist teilweise in privaten Mitschriften, teilweise durch den Stasi dokumentiert.

Ausstellungen wurden organisiert, beispielsweise zum Olof-Palme-Friedensmarsch 1987 in der DDR, über Martin Luther King und das Massaker der chinesischen Führung auf dem Platz des himmlischen Friedens in Peking, bei dem Anfang Juni 1989 ca. 2000 Menschen erschossen wurden.

Auch die Kommunalwahl am 07. Mai 1989 wurde kritisch begleitet. Einer Pirnaer Volkskammerabgeordneten wurde schon im Gespräch am 31. Januar 1989 deutlich gemacht, dass es ein „Weiter so!“, also Wahlen ohne jede Glaubhaftigkeit mit einer Wahlbeteiligung von 98 % und einer Zustimmung von 99 %, nicht mehr geben dürfe. Später wurden die Ergebnisse und Fragwürdigkeiten in der Ausstellung „Kommunalwahlskandal 7. Mai 1989“ zusammengefasst.

Ein Foto aus den beschriebenen Zeiten. (C) Klaus Zantke – Friedliche Revolution 1989 Pirna Neues Forum Grüne
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Im Mai 1989 wuchs der Wunsch, den Schutzraum Kirche zu verlassen und die Demokratisierung in ein unabhängiges öffentliches Forum einzubinden. Es wurde Kontakt aufgenommen zur „Initiative zur demokratischen Erneuerung der Gesellschaft“ um Michael Arnold in Leipzig. Im Juni 1989 wurde begonnen Unterstützerunterschriften zu sammeln. Dabei wurde deutlich, wie eingeschüchtert und verängstigt die Menschen durch das DDR-Regime waren. Auch Menschen, die in kirchlichen Kreisen den Mund sehr voll genommen hatten, trauten sich oft nicht zu unterschreiben. Manche kamen nach einer schlaflosen Nacht zurück und baten darum, dass ihr Name wieder gestrichen würde.

Der Gründungskongress der „Initiative zur demokratischen Erneuerung“ am 24. September 1989 in Leipzig wurde von den sich überschlagenden Ereignissen überholt. Er wurde zum Info- und Vernetzungstreffen der neu entstandenen Initiativen; allen voran für das NEUE FORUM. Die Veranstaltung hatte einen sehr konspirativen Charakter. Eingeladen wurde in eine Leipziger Kirchgemeinde, wo man sich anmeldete -nur die Delegierten der Basisgruppen mit offizieller Einladung erhielten die Adresse des Tagungsortes in der Markusgemeinde.

Die Friedensgruppe St. Marien wurde von vier Personen vertreten und von der Berliner Bürgerrechtlerin Bärbel Bohley gefragt, ob sie sich vorstellen könne, Kontaktadresse für das NEUE FORUM zu werden, da es hinter Dresden noch keine Kontaktadresse gäbe. Dem wurde zugestimmt, wenig später wurde die Privatadresse eines Mitglieds der Gruppe überall als Kontaktadresse verbreitet, besonders natürlich in den überfüllten Kirchen, wie z.B. der Kreuzkirche in Dresden.

Der offene Treff der Friedensgruppe in der Hospitalkirche wurde im Herbst 1989 zum wöchentlichen Friedensgebet. Wo sich über Monate zwischen 6 bis 12 Menschen trafen, tummelten sich nun bis zu 200. Am 4. Oktober 1989, als die „Republikflüchtlinge“ aus der Prager Botschaft mit Sonderzügen über das Gebiet der DDR in den Westen verbracht wurden, wurde das Friedensgebet sogar einmalig in die Klosterkirche verlegt und es kamen weit über 1000 Menschen zusammen.

Dort wurde über das Sammeln von Unterstützerunterschriften für den „Aufbruch 89 – NEUES FORUM“ hinaus auch erstmals begonnen, Arbeitsgruppen in Pirna zu bilden.

So entstanden bereits im Oktober im noch verbotenen NEUEN FORUM  erste thematische Arbeitsgruppen und regionale Basisgruppen. Am 8. November 1989 wurde das NEUE FORUM legalisiert. Am 10. November 1989 wurde die erste Pirnaer Demo beim Volkspolizeikreisamt angemeldet und am 19. November 1989 gingen ca. 8000 Menschen aus Pirna und Umgebung auf die Straße für freie Wahlen, saubere Luft in Pirna und die Erhaltung der Altstadt.

Foto von einer Demo in Pirna. (C) Klaus Zantke – DDR, Neues Forum, Pirna, Bündnis 90 Die Grünen
(C) Klaus Zantke

Es gab erste Gespräche mit den DDR-Blockparteien, runde Tische auf kommunaler Ebene, das erste Büro des NEUEN FORUM Pirna auf der Wilhelm-Pieck-Straße, die Menschenkette „Ein Licht für unser Land“ am 1. Advent, die Stasiauflösung in Pirna am 5. und 6. Dezember 1989, den unabhängigen Untersuchungsausschuss, unzählige Sitzungen und zwei weitere Großdemonstrationen.

Im Forum-Club jeden Donnerstag lebte die Tradition des offenen Treffs der Friedensgruppe fort. Auch die Friedensbibliothek wurde mitgenommen ins NEUE FORUM.

Am 7. Februar 1990 schlossen sich das „NEUE FORUM“, die „Initiative Frieden und Menschenrechte“ sowie „Demokratie Jetzt“ auf DDR-Ebene zum Wahlbündnis „Bündnis 90“ zusammen um bei der ersten freien Volkskammerwahl am 18.03.1990 gemeinsam anzutreten. Das Ergebnis für Bündnis 90 war mit 2,91 % ernüchternd. Die 12 Abgeordneten bildeten mit den 8 Mandatsträgern der Grünen Partei in der DDR (1,96%) die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen in der letzten DDR Volkskammer.

Die Grünen hatten den Pirnaer Peter Hildebrand nominiert, der eines der Volkskammermandate errungen hatte und sich besonders für den Schutz der Sächsischen Schweiz engagierte.

Zur Kommunalwahl am 6. Mai 1990 errang das NEUE FORUM 7 Sitze im Kreistag Pirna, drei Sitze im Stadtrat Pirna und etliche Sitze in verschiedenen Stadt- und Gemeinderäten.

Am 29. Juni 1993 schlossen sich die Kreisverbände des NEUEN FORUM und der Grünen zum Kreisverband Bündnis 90/Die Grünen zusammen.

Ein Text von Matthias Piel