Warum die Regenbogenflagge so wichtig ist

Nicht nur zu unserem Regenbogen-Flashmob am 15. Juli 2020 wurden Regenbogenflaggen gehisst. Neben den vielen CSD-Demonstrationen und -Festivals in der alljährlichen CSD-Saison wurden die Banner auch in anderen Situationen geflaggt, für Werbeanzeigen genutzt oder auf Sticker gedruckt. In vielen Fällen scheint die bunte Fahne nicht mehr für das ursprüngliche Anliegen zu stehen. Doch wofür steht die Regenbogenflagge dann?

Auch wir von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nutzen die Regenbogenflagge. Doch wofür steht sie und was ist die Geschichte hinter dem Banner? Hier können Sie und könnt ihr nachlesen.
Auch wir von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nutzen die Regenbogenflagge. Doch wofür steht sie und was ist die Geschichte hinter dem Banner? Hier können Sie und könnt ihr nachlesen. (Foto: Johannes Domke)

Der Ursprung – Wo die Flagge herkommt

Die Regenbogenflagge in der Gestalt, die man heute auf den alljährlichen CSD-Demonstrationen sieht, entstand in den USA. Der amerikanische Soldat Gilbert Baker entwarf sie 1978, nachdem der damalige Stadtrat Harvey Milk in San Francisco – einer der ersten offen schwulen Politiker der US-Geschichte – ihn aufforderte, ein Symbol für die Lesben- und Schwulenrechtsbewegung zu entwickeln.

Baker, der nach seiner ehrenhaften Entlassung aus den Militärdiensten das Nähen gelernt hatte, entwarf so die erste Version der Gay Pride Flag. Dieser erste Entwurf setzte sich aus insgesamt acht Farben zusammen, von denen jede eine eigene Bedeutung hatte: Pink für Sex, Rot für Leben, Orange für Heilung, Gelb für Licht, Grün für Natur, Türkis für Kunst, Indigoblau für Heiterkeit sowie Violett für Geist.

Die damalige Farbindustrie konnte jedoch das Pink nicht auf Flaggenstoff drucken, weshalb auf dem Pride March 1978 in San Francisco die Flagge mit nur sieben Farben genutzt wurde. Nach 1979 wurden Türkis und Indigo durch Royalblau ersetzt, welche Harmonie repräsentiert. So war die heute bekannte Regenbogenflagge geboren. [1]

Von KZs über Straßenschlachten hin zum friedlichen Protest

Bis zu ihrem Entwurf wurde der sogenannte Rosa Winkel als Zeichen der Schwulenrechtsbewegung genutzt. Dieses Symbol eines rosafarbenen und auf der Spitze stehenden Dreiecks stammt aus der Zeit des Dritten Reichs, als schwulen Männern in den Konzentrationslagern als Erkennungsmerkmal ein solcher Winkel an die Kleidung genäht worden war.

Dieses Zeichen brandmarkte die Männer nicht nur für Wachen der KZ als Schwule, sondern half auch dabei, innerhalb der KZ-Hierarchie klare Ränke zu verteilen: Männer mit diesem Symbol galten unter den KZ-Häftlingen selbst als unterste Stufe und wurden von den anderen KZ-Gefangenen mit wenig Respekt behandelt. [2]

Eine Übersicht, welche das beschriebene Symbol sowie weitere Kennzeichnungen von KZ-Häftlingen zeigt, finden Sie unter anderem bei Wikipedia und im Bundesarchiv.

Das Symbol des Dreiecks wurde von der modernen Lesben- und Schwulenbewegung ab 1969 aufgegriffen und positiv umgedeutet. Die Lesben- und Schwulenaktivist*innen strebten danach, gleiche Rechte und Anerkennung zu erkämpfen. Den Auftakt dieser Bewegung bildeten mehrtägige Straßenschlachten zwischen Drag Queens, Schwulen und Lesben in der Christopher Street in New York City. Diese begannen, als die Besucher*innen der Stonewall Inn Bar sich zum ersten Mal der wiederholten und selbst für damalige Verhältnisse unrechtmäßigen Verhaftung mehrerer Besucher*innen der Bar durch die Polizei widersetzten.

Symbolbild für die Stonewall Inn Bar und die Christopher Street
Symbolbild für die Stonewall Inn Bar und die Christopher Street

Drag Queens in Absatzschuhen, Lesben und Schwule wehrten sich gegen die Repressalien der Polizei, welche einige Tage nicht Herrin der Lage wurde. Ein Jahr später fand der erste Gay Pride March statt, um an diese Tage zu erinnern. Die moderne Lesben- und Schwulenbewegung war geboren. Europas erste Lesben- und Schwulendemonstration fand 1977 in Stockholm statt. In Deutschland kam der erste Christopher Street Day (CSD) am 30. Juni 1979 in Bremen, Köln und Berlin zustande. Seither hat die LGBT-Bewegung weltweit friedlichen und bunten Protest für die Rechte und die Gleichstellung von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgenderpersonen organisiert. Die Regenbogenflagge ist ihr globales Erkennungssymbol. [3]

Judy Garland und die Hippies

Die Form der Flagge war aus verschiedenen Richtungen beeinflusst worden. Vermutlich wurde der Regenbogen gewählt, da Judy Garlands Lied „Somewhere Over the Rainbow“ schon früh zu einem Symbol der Hoffnung, vor allem vieler schwuler Männer, wurde. Das Lied handelt von einem hinter dem Regenbogen befindlichen Land, in welchem alle Träume wahr werden. [4] [5]

Somewhere over the rainbow way up high
There’s a land that I have heard of once in a lullaby
Somewhere over the rainbow skies are blue
And the dreams that you dare to dream really do come true
[6]

Irgendwo weit hinter dem Regenbogen,
da gibt es ein Land, von dem ich einst in einem Kinderlied hörte.
Irgendwo hinter dem Regenbogen sind die Himmel blau
und die Träume, die du wagst, zu träumen, werden wirklich wahr.
[Freie Übersetzung]

Weiterhin stellte wohl die Friedensbewegung der 1950er und 1960er Jahre einen großen Einfluss auf das Design der Regenbogenflagge dar. So geht man davon aus, dass die sogenannte Flag of the Races bzw. Flag of the Human Race oder auch Brotherhood Flag (die ohne den Rassenbegriff auskommt) die Gestaltung in Form von Querstreifen bewirkte.

Die Flagge der Menschheit (freie Übersetzung) setzt sich aus je einem roten, weißen, braunen, gelben und schwarzen Streifen zusammen. Jede Farbe steht symbolisch für eine der menschlichen „Hautfarben“. Das Banner wurde in den späten 1950er Jahren verwendet, um für Frieden und Völkerverständigung zu werben. [7]

Nachbildung der "Flag of Brotherhood" oder auch "Flag of the Human Race"
Nachbildung der „Flag of Brotherhood“ oder auch „Flag of the Human Race“

Die Bandiera della Pace als Symbol der Friedensbewegung ist ebenfalls in Gestalt eines Regenbogens entworfen. Im Gegensatz zur Regenbogenflagge der LGBT-Bewegung setzt sie sich jedoch aus sieben Querstreifen zusammen, wobei Violett an der Spitze steht und Rot den Abschluss bildet. In der Mitte steht das italienische Worte PACE (Frieden). [8]

Nachbildung der Bandiera della Pace
Nachbildung der Bandiera della Pace

Nicht nur Lesben und Schwule

In Deutschland übte die Lesben- und Schwulenbewegung ab den 1970er Jahren zunehmend öffentliche Wirkung aus. Gemeinsam mit der Frauenrechtsbewegung, der Friedensbewegung, der Anti-Atom- und Umweltbewegung fand sie bspw. starken Eingang in die Gründung der Partei Die Grünen 1980.

Die Forderung nach einer Verbesserung der Lebenswirklichkeit und der rechtlichen Situation von Lesbischwulen zählt damit zur grünen DNA. Doch auch andere Parteien wie die FDP, die SPD und die Linken stellten sich an die Seite der Lesben- und Schwulenbewegung. Der Lesben- und Schwulenverband Deutschland (LSVD) ist in Deutschland Bürger*innrechtsorganisation für die Belange von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Trans*personen. [9] [10]

Im Laufe der Lesben- und Schwulenrechtsbewegung, die zunehmend die Welt ergriff, entstanden weitere Bewegungen, die sich an die Seite dieser Bewegung stellten und sie durch eigene Forderungen nach Gleichberechtigung erweiterten.

Zu nennen ist hier die Trans*Bewegung, welche sich für die Anerkennung der Identität gleiche Rechte für transidente Personen einsetzt. 1999 entwickelte die Trans*aktivistin Monica Helms, die Trans*flagge. Diese ist in Anlehnung an die Regenbogenflagge der LSB-Bewegung mit 5 Querstreifen versehen: hellblau, hellrosa, weiß, hellrosa, hellblau. Blau steht dabei für das Männliche, rosa für das Weibliche. Weiß symbolisiert all jene, die sich im Prozess des Übergangs befinden. [11]

Hier die Transflagge in Aktion, beim CSD-Ersatzevent auf dem Marktplatz in Pirna
Hier die Transflagge in Aktion, beim CSD-Ersatzevent auf dem Marktplatz in Pirna (Foto: Johannes Domke)

Menschen, die wenig bis kein sexuelles Verlangen empfinden, vereinen sich zunehmend ebenfalls hinter einer Flagge. Sie repräsentiert das Spektrum der A*sexuellen. Ihre Farben sind schwarz (für Asexualität), grau (der Übergang zwischen Asexualität und Sexualität), weiß (Sexualität) und violett (Gemeinschaft und Solidarität). [12]

Hier die Flagge der Asexuellen beim gleichen Event in Pirna (Foto: Johannes Domke)

Diese beiden Banner sind gemeinsam mit der Regenbogenflagge regelmäßig auf Demonstrationen der LGBTQIA+ Bewegung zu sehen. Weitere Flaggen existieren, die weitere Menschen- und Bürger*innenrechtsbewegungen repräsentieren.

Freiheit, Vielfalt, Demokratie

Diese historische Übersicht zeigt die Entwicklung der Regenbogenflagge. Doch kann sie erklären, warum die Regenbogenflagge heute so oft verwendet wird, auch unabhängig der ursprünglichen Bedeutung für Lesben- und Schwulenrechte?

Wie schon oben angedeutet, weist die Regenbogenflagge eine Vielzahl an Einflüssen und Ursprüngen auf, welche sie in Erscheinung und Symbolik geprägt haben: Judy Garlands „Somewhere Over the Rainbow“ als Traum von einer besseren Welt, die Flag of the Human Race und die Bandiera della Pace als Forderung nach Völkerverständigung sowie die LGBTQIA+ Bewegung mit dem Ziel, Menschen in ihrer Vielfalt anzuerkennen.

Es ist gerade diese Kombination an Einflüssen und Symbolen – Besserung der Welt, Frieden, Vielfalt – die das heutige Verständnis der Regenbogenflagge prägen. Nicht nur Lesbischwule, Transgenderpersonen oder Asexuelle können sich hinter ihr vereinen. Auch Heterosexuelle können sie als das verstehen: ein Symbol für die menschliche Vielfalt, für die individuelle Besonderheit, für die persönliche Freiheit.

Die Farben des Regenbogens repräsentieren grundlegend humanistische Prinzipien und Werte, dass ein jeder Mensch einen individuellen und unendlichen Wert hat, den es zu schützen gilt – auch entgegen verschiedener religiöser, politischer oder weltanschaulicher Vorstellungen, gegen womöglich inhumane Traditionen, gegen Formen der Unterdrückung.

Die Gestaltung der Farben in einem Regenbogen, also in einem vereinten Objekt, zeigen zudem, dass Individualität, Freiheit und Menschenwürde nicht gegen Gemeinschaft stehen. Viel eher zeigt es, dass Gemeinschaft, dass Gesellschaft diese Individualität benötigt, um erst als Gesellschaft zu existieren. Ja, mehr noch: erst das Einstehen füreinander, für die Verschiedenheit eines jeden Menschen ermöglicht Gemeinschaft. Damit verbindet die Regenbogenflagge Individualität mit Solidarität, Freiheit mit Gemeinschaft.

Gerade in den heutigen Debatten, bei denen Kräfte und Bewegungen auftreten, die persönliche Würde und Individualität eines jeden Menschen hinter einem vermeintlichen Volkswillen zurücktreten lassen, steht die Regenbogenflagge als Symbol dem entgegen. Sie repräsentiert Freiheit statt Unterdrückung, Vielfalt statt Gleichschaltung, Demokratie statt Faschismus.

In diesem Sinne: wir brauchen mehr Regenbogenflaggen – überall, zu jeder Zeit, in jedem Herzen!

Quellen:

[1] https://www.youtube.com/watch?v=S_bzpr2jalQ (Abgerufen am 22.07.2020)

[2] Zinn, Alexander (2018), Aus dem Volkskörper entfernt, Campus Verlag

[3] Philips, Joe (2003), Die Freuden der Schwulen, Bruno Gmünder Verlag

[4] https://archive.org/details/gayalmanac00lesb/page/94/mode/2up (Abgerufen am 22.07.2020)

[5] Higgs, David (1999), Queer Sites: Gay Urban Histories Since 1600, Psychology Press

[6] https://www.metrolyrics.com/somewhere-over-the-rainbow-lyrics-judy-garland.html (Abgerufen am 22.07.2020)

[7] https://www.crwflags.com/fotw/flags/int-wpa.html (Abgerufen am 22.07.2020)

[8] https://en.wikipedia.org/wiki/Peace_flag (Abgerufen am 22.07.2020)

[9] Dobler, Jens und Rimmele, Harald (2008) Die Sozialen Bewegungen in Deutschland seit 1945: Ein Handbuch, Campus Verlag

[10] https://www.bpb.de/gesellschaft/gender/homosexualitaet/38838/geschichte-des-csd (Abgerufen am 22.07.2020)

[11] https://www.refinery29.com/de-de/transgender-flagge-pride-farben-geschichte (Abgerufen am 22.07.2020)

[12] Decker, Julie (2014), The Invisible Orientation: An Introduction to Asexuality, Carrel Books

Ein Text von Nino Haustein