Impfpflicht pro und contra

Impfpflicht, ja bitte

Eine Impfpflicht ist notwendig, um aus der pandemischen in eine endemische Lage zu kommen. Sie ist allerdings, das hat auch der Ethikrat kurz vor Weihnachten betont, „kein Allheilmittel“.

https://www.ethikrat.org/fileadmin/Publikationen/Ad-hoc-Empfehlungen/deutsch/ad-hoc-empfehlung-allgemeine-impfpflicht.pdf.

Bei einer Impfquote von ca. 70 % stößt das deutsche Gesundheitssystem an seine Überlastungsgrenze. Nicht nur die leeren Intensivbetten, die wegen zu weniger Pflegekräfte nicht mehr belegt werden können, machen diese Grenze deutlich. Sondern auch die Diskussionen, die inzwischen über eine Triage in Überlastsituationen geführt werden. Eine solche Situation, in der Ärzt*innen entscheiden müssen, wer die größeren Überlebenschancen hat und behandelt wird, muss unbedingt vermieden werden. Außerdem verringern sich die Überlebenschancen von Personen, bei denen wichtige Operationen aufgrund der vollbesetzten Intensivstationen verschoben werden müssen.

Auch geimpfte Personen können sich anstecken, z. T. sogar mehrfach. Alle Daten zeigen jedoch, dass schwere Verläufe und damit die Notwendigkeit einer Intensivbehandlung vor allem ungeimpfte Personen treffen.

Impfbereitschaft bei Freiwilligkeit lässt sich nicht weiter steigern

Die Impfbereitschaft bei Freiwilligkeit lässt sich nicht signifikant steigern. Das liegt u. a. an der „kollektiven Erfahrung der Ungewissheit“.

Ungewissheit entsteht durch ein dynamisches Pandemiegeschehen in Verbindung mit einer sich fast täglich ändernden Faktenlage. Freiwilligkeit fußt jedoch auf Vertrauen in die wissenschaftlichen Erkenntnisse und in das Pandemiemanagement des Staates. Dass Sachverständige ihre Einschätzungen dem sich ständig ändernden Wissenstand anpassen müssen, in der Wissenschaft ein völlig normaler Vorgang, hat zu Wissenschaftsskepsis und dem Glauben an einfache Erklärungen geführt.

Die deutsche Impfkampagne war, auch das gehört zur Wahrheit, viel weniger erfolgreich als in anderen Ländern. Pannen im Pandemiemanagement, z. B. in der Impfstoffbeschaffung, führten zu Vertrauensverlust. Deshalb sind einseitige Schuldzuweisungen an Menschen, die sich bisher nicht impfen ließen, kontraproduktiv.

Eine Impfpflicht würde aus diesem Grunde „nicht weniger, sondern mehr Kommunikation“ bedeuten. www.taz.de/!5823915.Kirsten Kappert-Gonther, Psychaterin und Grünen- Abgeordnete, schlägt Gesprächsangebote von geschultem Personal vor,  bei denen Sorgen und Widerstände in Ruhe besprochen werden können.

Eine mögliche Befriedung der Gesellschaft

Auch das Argument, dass eine Impfpflicht zu einer Befriedung der Gesellschaft beitragen kann, muss bedacht werden. Menschen, die sehr unentschlossen sind oder sich einem starken Gruppendruck ausgesetzt sehen, könnte die Entscheidung abgenommen werden, ohne dass sie sich rechtfertigen müssen.

 

Impfpflicht, nein danke

Eine allgemeine Impfpflicht taugt nicht. Einem sich ständig wandelnden Pandemiegeschehen lässt sich nicht mit Gesetzen begegnen. Das zeigt sich jetzt, da eigentlich ein Gesetz zur Impfpflicht in den Bundestag zeitnah eingebracht werden sollte, nun aber deutlich verschoben wird. Ein solches Gesetz müsste die folgenden Fragen beantworten:

  • Wenn weiterhin das Recht auf körperliche Unverletzlichkeit gilt, also niemand zwangsgeimpft werden darf, so ist über verhältnismäßige Sanktionen gründlich nachzudenken. Bisher waren Bußgelder im Gespräch. Wenn diese allerdings nicht gezahlt werden können oder aus Prinzip nicht gezahlt werden, droht dann Gefängnis? Werden unsere Gefängnisse dann plötzlich an ihre Überlastungsgrenzen kommen? Werden Verwaltungen und Gerichte auf lange Zeit beschäftigt sein, was wiederum Zweifel an der Handlungsfähigkeit des Staates befördert?
  • Ist eine Impfpflicht geeignet, den Allgemeinschutz zu erhöhen, die vulnerablen Gruppen zu schützen? Kann es nicht sein, dass immer neue Virusvarianten diesen Schutz unterlaufen? Wir wissen es nicht, machen aber schon mal ein Gesetz?
  • Ist die gesetzliche Impfpflicht erforderlich oder gibt es ggf. mildere Mittel, die dasselbe Ziel erreichen? Wir wissen noch nicht, wie die Proteinimpfstoffe in der Bevölkerung angenommen werden. Außerdem werden in absehbarer Zeit Medikamente auf den Markt kommen, die schwere Verläufe deutlich abmildern können. Ist das Impfen dann noch zwingend erforderlich?
  • Ist die allgemeine Impfpflicht noch erforderlich, wenn die schon gesetzlich beschlossene, einrichtungsbezogene Impfpflicht als milderes Mittel den notwendigen Schutz der vulnerablen Gruppen erreicht?
  • Wie steht es um die Frage zeitlicher Abläufe? Es gehört zum dynamischen Pandemiegeschehen, dass wir erst im Laufe der letzten Monate gelernt haben, wie lange eine Impfung wirkt und welche Bedingungen erfüllt werden müssen, damit der menschliche Körper eine längerfristige Immunantwort aufbauen kann. Noch wissen wir nichts über die Anzahl der Impfungen, die in der Zukunft notwendig sein werden. Macht es Sinn, in solch einer Phase des wissenschaftlichen Lernens und Forschens schon Gesetze zu verabschieden, die das Leben der Menschen lange Zeit begleiten sollen?
  • Es gibt Menschen, die sich nicht impfen lassen können. Ihr Körper weist z. B. eine Unverträglichkeit gegenüber den Impfstoffen auf oder andere (psychische) Ursachen spielen eine Rolle. Wie kann man einer Stigmatisierung begegnen, wenn diese Ursachen nachgewiesen werden müssen?
  • Kann es sein, dass durch die allgemeine Impfpflicht Menschen, die eine Impfung für sich kategorisch ablehnen, aus ihren Berufen gedrängt werden? Wird der Pflegenotstand sowie der Personalnotstand in der kritischen Infrastruktur damit zu- und nicht abnehmen? Werden damit wiederum Menschenleben gefährdet?
  • Global betrachtet wird das pandemische Geschehen nur beendet sein, wenn es global bekämpft wird. Werden die reichen europäischen Staaten die Patente für die ärmeren Staaten des globalen Südens freigeben?

B.F.