German Angst und die Heizungen

Friedrich Ani hat im Jahre 2000 einen bemerkenswerten Roman geschrieben, „German Angst“. Der Begriff beschreibt ein weit verbreitetes Phänomen: Die Angst vieler Menschen in Deutschland vor Fremden im Land, vor dem nächsten Winter, dem nächsten Sommer, der Inflation, vor dem Wohlstandsverlust. Beruhigend auf die Deutschen wirkten in der Vergangenheit solche Aussagen, wie die von Norbert Blüm 1986: „Die Rente ist sicher“. Oder die von Angela Merkel 2008: „Wir sagen den Sparerinnen und Sparern, dass ihre Einlagen sicher sind.“

Verlorene Sicherheit

Heute scheint nichts mehr sicher. Nicht einmal der Frieden. Der Krieg in der Ukraine, ein europäischer Krieg, zeigt, wie bedroht unsere Welt ist. Fast haben wir uns schon gewöhnt an diese Bedrohung. Wir gehen unserer Arbeit nach, fahren in den Urlaub, pflegen unsere Gärten, kümmern uns um die Kinder und Enkel. Was Menschen tun in Friedenszeiten. Auch wenn sie brüchig sind. Aber es scheint ein großes Gespenst umher zu gehen. Es nährt die Angst vor der Zukunft, vor dem möglicherweise schwindenden Wohlstand. Und es wird kräftig gefüttert, damit niemand es übersieht oder auch nur einen Moment vergisst. Das Gespenst heißt: Zwangsaustausch von Heizungen. Es gibt noch viele andere Gespenster, die künstlich gemästet werden. Aber um dieses eine soll es hier gehen.

Zu den Fakten

Zweimal hat die Ampelregierung im Koalitionsausschuss einen konkreten Zeitplan verabredet. Beim Neueinbau und Austausch kaputter, nicht reparierbarer Heizungen dürfen ab dem 01.01.2024 keine rein fossilen Gas- und Ölheizungen mehr verwendet werden. Sondern nur noch Heizungen, die zu 65% mit nichtfossilen Energien betrieben werden. Bestehende Heizungen sind nicht betroffen. Sie können weiter genutzt werden. Auch Reparaturen sind weiterhin möglich. Ausnahmen wird es auch geben. In Härtefällen können Eigentümer von der Pflicht befreit werden. Der Austausch betrifft weniger als ein Prozent der Heizungen. Dennoch „hat die halbe Republik panikhafte Verarmungsängste.“ https://www.taz.de/!5933334

Geschürt werden diese Ängste von der Springer- Presse, von CDU und CSU, der AfD und der FDP,  die sich wie eine Oppositionspartei benimmt. „Diese Debatte hat nicht nur für die Ampel etwas Ruinöses. Sie verwandelt Klimapolitik in einen Kulturkampf von unten gegen oben, von Provinz gegen Eliten. Dabei gewinnen nur die Rechtspopulisten.“ (Ebenda) Die AfD erreicht inzwischen ähnliche Umfragewerte wie die SPD.

Ziel der konzertierten Aktion ist die Verschiebung des Gesetzes. Weil es angeblich nicht eilt. Weil die Klimakrise ja vielleicht doch nicht so schlimm wird. Weil die Gaslobby weiterhin von fetten Gewinnen träumt. Weil die Opposition einschließlich der FDP davon träumt, endlich die Grünen loszuwerden. Weil die Deutschen offensichtlich am liebsten Regierungen haben, die sie in Ruhe lassen. Aber hier soll keine Wähler*innen- Schelte betrieben werden, sondern schauen wir auf die Geschichte der Grünen Partei.

Umwege erhöhen die Ortskenntnis

Schauen wir zunächst auf das, was wir schon erreicht haben. Am 15. April 2023 ist in Deutschland der letzte Atommeiler abgeschaltet worden. Das ist doch Schnee von gestern, könnte man einwenden. Allerdings wurde vor dem Abschalten genauso hysterisch argumentiert wie jetzt in Bezug auf die Heizungen.

Der Kampf gegen die Atomkraft war konstituierend für die Grünen. Und es hat viele Kämpfe und Umwege gebraucht bis zum letzten Schritt. Jürgen Trittin dazu: „Die Korrektur politischer Strategien zieht sich durch die Geschichte des Atomausstiegs. Man hat zuerst versucht, durch die Besetzung von Bauplätzen den Neubau zu verhindern. Diese Strategie ist zwar nicht komplett gescheitert. Es gab Planungsstopps. Aber die Nutzung der Atomenergie an sich wurde nicht beendet. Deswegen wollten wir Grünen diesen Protest in die Parlamente tragen. Später haben wir versucht, in den Bundesländern, in denen wir regiert haben, über eine sehr konsequente Auslegung der Sicherheitsstandards die Anlagen stillzulegen. Das ist gescheitert, weil sie zu diesem Zeitpunkt so rentabel waren, dass sich die Betreiber jede Nachrüstung leisten konnten. Schließlich haben wir zuerst in Niedersachsen und später auf Bundesebene den Weg eingeschlagen, die Atomenergie im Konsens mit der Industrie zu beenden. das ist von vielen in der Bewegung erst mal kritisch gesehen worden, hat sich aber im Ergebnis als richtig erwiesen.“ https://taz.de/Juergen-Trittin-ueber-den-Atomausstieg/!5925397/

Wir sollten also nicht nervös werden, wenn etwas auf direktem Wege nicht klappt! Auch beim Atomausstieg lief die Angstmasche auf vollen Touren. Gedroht wurde u. a. mit einem Anstieg des Strompreises und mit Blackouts. Fakt ist, dass der Strompreis inzwischen gesunken ist und Blackouts ausgeblieben sind.

Natürlich ist der Kampf gegen den Atomausstieg eine vorwiegend westdeutsche Geschichte. Bündnis 90/ Die GRÜNEN sind im Osten eine sehr junge Partei, eine Partei, deren Forderungen als Zumutung und immer noch als westdeutsch empfunden werden. Viele Menschen sind nach den Verwerfungen der 90iger Jahre, denen der Pandemie und des Ukrainekrieges eher misstrauisch gegenüber weiteren Veränderungen. Verständlich. Auch weil die Zahl der von Armut Betroffenen in Deutschland steigt. Da sind die Ursachen der Angst ganz real.

Unterschiede

Der Unterschied zum Kampf gegen die Atomenergie und dem jetzigen Umstieg auf nichtfossiles Heizen ist deshalb fundamental. Damals mussten Großkonzerne überzeugt werden, heute eine ganze Bevölkerung. Damals brachte der Kampf gegen die Atomkraft in Westdeutschland Menschen aus den unterschiedlichsten Bereichen mit unterschiedlichen politischen Überzeugungen zusammen. Da waren die Bauern mit ihren Treckern zur Stelle, die Hausbesetzer, die Menschen aus den Städten mit CDU-, FDP- oder SPD- Parteibuch. Und für die Grünen gehörte, wie oben schon beschrieben, der Anti – Atom – Kampf zum Selbstverständnis der neu gegründeten Partei. Die Änderung strategischer Überlegungen und damit die Anpassung an veränderte Verhältnisse, die Lernkurve der Partei, ist kein Manko, sondern ein Vorteil. Den sollten wir auch hier im Osten selbstbewusst vertreten und nicht schamhaft verstecken.

Wir haben heute auch wegen der realen Wohlstandsverluste nur wenige Verbündete im Kampf um die notwendigen Transformationsprozesse. In Sachsen grenzt sich der MP schon mal vorsorglich ab von seinen Koalitionspartnern. Kretschmer beteiligt sich gern an der Angstmasche. Er bedient Stimmungen: „Ob es gegen die weitere Aufnahme von Flüchtlingen geht, das verkorkste Heizungsgesetz, den Ausbau erneuerbarer Energien oder Waffenlieferungen an die Ukraine.“ (Leitartikel von Annette Binninger, SZ vom 27./ 28. Mai 23).

Ja, das Heizungsgesetz wird gern als „verkorkst“ bezeichnet. Und niemand anderes hat das natürlich verbrochen außer Robert Habeck. Die gemeinsamen Beschlüsse der drei Ampel – Parteien werden gern unterschlagen. Da schenken manche doch lieber Parteien und Vereinen Gehör, die das Dagegen – Sein zum Programm erhoben haben, die keine Forderungen stellen außer der, man möge doch unter sich bleiben, alle Fremden rausschmeißen, sich den sogenannten Eliten widersetzen und ansonsten nur an sich selber denken.

Fazit

Es wird Zeit. Es wird Zeit, dass wir vor Ort, in Sachsen und Pirna, nicht in das allgemeine Lamento einstimmen. In das von den „handwerklichen Fehlern“. Niemand ist frei von Fehlern, die auch korrigierbar sind. Wir sollten uns besinnen auf unsere Stärken: Auf unser gesichertes Wissen um die Notwendigkeit der Anpassung an den Klimawandel, nicht nur mit schönen Worten, sondern auch im Handeln. Auf unseren Rückhalt in der Wissenschaft. Wir sollten daran arbeiten, weitere Bündnispartner zu gewinnen, um, wenn nötig über Umwege, dennoch das Ziel zu erreichen. Und wir sollten in den Städten und Gemeinden unbedingt noch stärker sichtbar werden. Wir sollten jede Gelegenheit nutzen, um Gespräche zu führen. Dabei gut zuhören und nicht die Besserwisser geben. Aber eben auch klar sein gegen Hetze, Fremdenfeindlichkeit und Leugnung des menschengemachten Klimawandels. Natürlich braucht es dafür ein ordentliches Maß an Frustrationstoleranz. Aber anders wird es nicht gehen.

Bärbel Falke