Werkstattbericht aus dem Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK)

 

(wichtiger Hinweis: Der Artikel enthält zahlreiche, in grünem Schriftbild angelegte Links, mit deren Hilfe Sie zu den originalen Belegen für Ihr gründliches Studium gelangen können.)

In den letzten Tagen und Wochen hat es um Robert Habeck und den geleakten Entwurf zum Gebäudeenergiegesetz (GEG) Verwirrungen gegeben, die von interessierten Kreisen sehr gern aufgenommen wurden. Dass eigentlich auch das Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen (BMWSB) von Klara Geywitz (SPD) an der Entwicklung des Gesetzes gleichberechtigt beteiligt war und beide den gemeinsamen Beschluss der Bundesregierung aus dem Koalitionsvertrag (2021) und Koalitionsausschüssen (2022 und 2023) auftragsgemäß mit ihrem Vorschlag umsetzen, bleibt weitgehend unberücksichtigt.

Ohne in der öffentlichen Debatte sachlich auf die eigentlich bekannten Fakten eingehen zu müssen / wollen, spielten neben „Roberts Heizungshammer“ bei Döpfner-Bild&Co-Lindner die Worte „Filz“ oder „Clan“ (ausgerechnet aus dem Glashaus Bayern) eine skandalisierende Rolle. Wir wollen mit drei Filz-Bildern gegensteuern und zur Korrektur der Legenden anstiften:

 

Quellen: BMWK

Quintessenz

  • Anders als von Presseorganen in Kakophonie mit Stimmen aus CDU, CSU, FDP und AfD kolportiert, sind die Forschungsinstitute bzw. „Think Tanks“, wie Agora Energie oder Öko-Institut, und das in ihnen arbeitende Personal seit vielen Jahrzehnten mit Fragen des Klimawandels und der daraus notwendigen Umstellung des Energie- / Wirtschaftsystems beschäftigt und haben sich eine hohe, nationale wie internationale Anerkennung erworben.
  • Deshalb sind sie von den verschiedenen Bundesregierungen für Beratungen und Gutachten (P. Altmeier [CDU] schätzte u. a. die unabhängige Expertise für die Energiewende [s. o.]) herangezogen worden.
  • Wenn es tatsächlich um Kompetenz als Einstellungskriterium für einen Ministeriumsposten geht, dann war es aufgrund der Vorleistungen selbstverständlich, bei der Neuausrichtung der Energie- und Klima-Politik diesen Personenkreis anzusprechen – Alternativen aus dem CDU / CSU- / FDP- oder AfD-Umfeld existieren einfach nicht. Warum wohl nicht?
  • Dass Patrick Graichen und andere natürlich, auch angesichts des Zeitmangels und der Dringlichkeit, auf ihren Erkenntnisstand und ihre Konzepte aus den Jahren 2019 bis 2021 zurückgegriffen haben, mussten wir als Bürgerinnen und Bürger erwarten, denn es ging / geht um Pragmatismus, um erfolgversprechende Wege, um Leistung in möglichst kurzer Zeit zum Nutzen unseres Staates.
  • Und es hat ja auch funktioniert: kein Gas- und Ölmangel, keine Blackouts, Vollbeschäftigung, Abfedern enormer Preissprünge bei fossilen Energien, 29 vom Bundeskabinett in 2022 aufgrund von Vorlagen aus dem BMWK beschlossene Gesetze, dazu 35 Verordnungen, die der Energiewende und dem Schutz vor der Klimakrise neuen Schub gegeben haben.

Wege aus der Krise

Regierungshandeln muss planvoll sein, das erwartet jede Bürger*in. Und dieser Plan soll geeignet sein,

  • der Verschärfung des globalen Klimawandels durch CO2– und Methangas-Reduktionen, Effizienz-Steigerungen und Sparmaßnahmen zu begegnen,
  • uns darauf vorzubereiten, die Auswirkungen des dynamisch sich ändernden Klimas durch Dürren, Starkregenereignisse, Meeresspiegelanstieg, Hitzeschocks etc. abzumildern,
  • klug (d. h. auch sparsam) bzw. nachhaltig zu wirtschaften und alle Menschen in unseren Gesellschaften an dem Erwirtschafteten sowie den Fortschritten gerecht zu beteiligen.

Klimaneutralität bis 2045

Das Ziel „Klimaneutralität bis 2045“ ist für Deutschland von Bundestag und Bundesrat per Mehrheitsbeschluss gesetzlich festgelegt, und die dafür notwendigen Anstrengungen sind hinreichend beschrieben.

Details der Umsetzung hat das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) am 09.03.2023 in seinem „Werkstattbericht“ vorgestellt, der die wissenschaftlichen Grundlagen der Studie „Klimaneutrales Deutschland 2050“ (s. o.) und der Nachfolgestudie „Klimaneutrales Deutschland 2045“ aufnimmt. Er zeigt auf, woran die Mitarbeiter*innen im BMWK in den letzten 15 Monaten unter Habeck gearbeitet haben und womit sie sich in Zukunft beschäftigen wollen / müssen. Die Handlungsmaxime besteht immer darin, nach den wirtschaftlichen Einbrüchen, ausgelöst durch den Angriffskrieg Putins auf die Ukraine, den „Wohlstand klimaneutral [zu] erneuern“, Freiheit (durch Abbau von Abhängigkeiten) und Sicherheit (durch starke, autarke Infrastrukturen) zu gewinnen.

Klimaneutralität durch „transformative Angebotspolitik“

R. Habeck am 23.05.23 (Rede vor dem Wirtschaftsrat von CDU/CSU):

„…. Wir sind noch in der Krise, wir haben noch die hohen Energiepreise, verschuldet durch eine falsche Abhängigkeit, und gleichzeitig müssen wir uns strukturell neu aufstellen. Und das, was ich im letzten Jahr versucht habe zu machen, ist, ausgehend von der Gedankenfigur der sozialen Marktwirtschaft [Wohlstand des Landes durch das freie Spiel der marktwirtschaftlichen Kräfte bei gleichzeitig bändigender Rahmung durch ständig neue gesellschaftliche Verabredungen], also Widersprüchliches zusammenzubringen, diese paradoxe Situation  – hohe Inflation zu bekämpfen und gleichzeitig Innovationsmöglichkeiten zu schaffen – auf eine ähnlich spannungsreiche Formel zu bringen, im gewissen Sinne Widersprüche zu vereinen. ….. Wir haben es [in meinem Ministerium] auf die Formel „transformative Angebotspolitik“ gebracht. Worin liegt der Widerspruch? Angebotspolitik ist gemeinhin verbunden mit …… Deregulierung,  Steuern senken, Gießkanne über alles, dann tripple down-Effekt [These, dass der Einkommenszuwachs, den die Reichen in einer Gesellschaft erfahren, sukzessive auch zu den Mittelschichten und zu den Ärmeren in der Gesellschaft durchsickern]. Das ist erkennbar weder finanziell zu stemmen noch hat es sich als super erfolgreich erwiesen [USA unter Reagan, Großbritannien unter Thatcher]. Deswegen „transformativ“: zielgerichtet, spezielle Märkte schaffen, spezielle Rahmenbedingungen schaffen, dass sich [notwendige] Transformation [hin zu Netto-Null-CO2-Emissionen in 2045] ereignen kann. ….“

So ergeben sich zwei miteinander verwobene Handlungsstränge, über die auf der einen Seite die Erneuerung der energetischen Versorgung gewährleistet, auf der anderen Seite die Erneuerung unserer industriellen Wertschöpfung in kleinen, mittleren und großen Unternehmen abgesichert werden müssen und die sich wechselseitig bedingen sowie voneinander profitieren.

Prinzipiell bedeutsam: Bei der Transformation (Überführung und Neuausrichtung) unserer Wirtschaft in Richtung einer klimaneutralen Erneuerung ist „wichtig, dass die sozial-ökologische Erneuerung unseres Wohlstands mit einer erneuerten Wohlstandsteilhabe einhergeht, die gute Arbeit in die Zukunft trägt, die die gemeinsamen Infrastrukturen stärkt und in der die Lasten der notwendigen Veränderung solidarisch getragen werden“ (Werkstattbericht, S. 4).

Die zentralen Handlungsfelder innerhalb der Transformation sollen im Folgenden kurz skizziert werden.

Ausbau erneuerbarer Energien

Nach der politischen Fehlentwicklung im vergangenen Jahrzehnt (Politik von CDU / CSU, FDP und SPD) muss hier die zentrale Leistung erbracht werden, denn ohne erneuerbare Energien ist alles (Klimaneutralität 2045, 1.5-Grad-Ziel von Paris) nichts.

Im Zusammenwirken von öffentlicher Hand (Bund, Ländern und Kommunen), Verbänden und Branchen sind ein neuer Flächenentwicklungsplan für off-shore-Windanlagen, eine Wind-an-Land-Strategie sowie eine PV-Strategie entstanden, die nun umgesetzt werden müssen.

Stromgewinnung, Übertragungsnetze, intelligente Messsysteme und gerechte Kostenaufteilung der Energiewende

Je umfangreicher der Anteil von Erneuerbarer Energie, vermehrt aus Windkraft- und PV-Anlagen, am Strommix wird, desto intensiver werden die Anforderungen an die Stromnetze (Dezentralisierung vs. Nord-Süd-Trasse), schnell steuerbare Kraftwerke (nur für die sehr dynamische Überbrückung von Dunkel- bzw. Windflauten), wirtschaftliche Speicherung (Batteriespeicher, Wärmepuffer, Elektrolyseure) und an Strommarkt konformes Verhalten der Verbrauchenden (wenn billiger Ökostrom angeboten wird, nutze ihn).

Die großen Netzbetreiber sind verantwortlich für den Ausbau der Fern-Übertragungsnetze, während im Nahbereich regionale Netzbetreiber oder Stadtwerke für die Flexibilität der Verteilnetze zuständig sind.

Mit Hilfe einer neuen Kraftwerksstrategie soll es darum gehen, bis 2030 alte Gaskraftwerke zu ertüchtigen und neue zu konstruieren, die insgesamt eine steuerbare Leistung von ca. 25 GW erbringen sollen. Zug um Zug sollen sie in der Lage sein, grünen Wasserstoff (also über Elektrolyse mittels erneuerbarer Energien erzeugter H2) zu verbrennen.

Günstige, digitale Messsysteme für Verbraucher*innen (Smart Meter-Gesetz) revolutionieren in intelligenter Weise die Netzstabilität und schaffen eine Perspektive für den Preis bewussten Verkauf selbsterzeugten Stroms sowie den Einkauf von benötigtem Fremd-Strom (privat sowie gewerblich).

Ungerechtigkeiten, z. B. bei den regionalen Unterschieden in der Höhe der Netzentgelte, müssen sowohl für Bürgerinnen und Bürger sowie Industrieunternehmen Schritt für Schritt beseitigt werden – es darf nicht sein, dass hohe Windpark-Dichten im Norden gleichzeitig hohe Stromrechnungen für die Endabnehmer*innen bedeuten, während der Süden bei den erneuerbaren Energien nicht nachkommt, Übertragungstrassen blockiert werden und wegen „Stromstaus“ (Redispatch) kostenträchtige Abschaltungen von WKA im Norden anfallen. D. h., es wird unterschiedliche, regionale Stromtarife geben (müssen), um Investitionsanreize zu geben, Einspareffekte zu erzielen und Gerechtigkeit einkehren zu lassen.

Wärmewende

Die gegenwärtige, hektische Diskussion über das Gebäudeenergiegesetz (GEG), die auch bestimmt  wird von Fakes, spiegelt den Stellenwert der Wärmewende wider. Die Neuausrichtung der Heizungsanlagen allein kann das Problem der falschen Abhängigkeit von fossilen Energien nicht lösen; es muss vielmehr zusammengefügt werden mit kommunalen Wärmeplanungen für heiße und kalte Nah- bzw. Fernwärmenetz (sie stellen vor allem in den Stadtbezirken die Alternative für individuelle Heizungsanlagen dar) und der Förderung von klimaneutralen Wärmenetzen (BEW). Natürlich ist klar, dass eine Heizung umso kleiner (und damit preisgünstiger) dimensioniert werden kann, je besser das Gebäude energetisch saniert (BEG) ist.


Exkurs aus aktuellem Anlass:

CDU / CSU und FDP zusammen mit interessierten Verbänden (Gas-Industrie und Netzwerk-Betreiber) sowie einschlägiger Presse treiben nach dem GEG eine zweite Sau durchs Dorf und versuchen wiederum, ohne auf Fakten zu achten, zu skandalisieren sowie die Bürgerinnen und Bürger zu verunsichern.

Vorwurf: Der Gesetzesvorschlag „kommunale Wärmeplanung“ aus BMWK und BMWSB sei ein „Stasi-Gesetz“ und komme viel zu spät / hätte in der Reihenfolge vor dem GEG kommen müssen.

Dann sitzt die Stasi jetzt neuerdings in Bayern, Baden-Württemberg, Schleswig-Holstein, wo es die Pflicht zur kommunalen Wärmeplanung schon gibt, und demnächst auch wieder bei uns in Sachsen, wo die Staatsregierung 2022 im EKP die „kommunale Wärmeplanung“ beschlossen hat.

Am 07.04.2022 wurde der Startknopf zum „Kompetenzzentrum kommunale Wärmewende (KWP)“ in Halle (Sachsen-Anhalt) gedrückt. Im Auftrag des BMWK und in Kooperation mit der DENA soll es die Kommunen bundesweit bei der Wärmeplanung unterstützen.

Im BMWK ist die Diskussion zum entsprechenden Gesetz am 29.07.2022 mit dem Konzept zur Umsetzung einer flächendeckenden kommunalen Wärmeplanung in Gang gebracht worden; bis zum 22.08.22 waren 48 Stellungnahmen von Ländern, Kommunen, Verbänden etc. eingegangen, deren Anregungen in den Gesetzestext eingeflossen sind.


Aufbau einer Wasserstoff-Infrastruktur

Wasserstoff muss innerhalb der Energiewende und zeitlich auch danach zum Einsatz kommen, wenn Elektronen, sprich elektrischer Strom, nicht zur Verfügung stehen oder technisch nicht eingesetzt werden können (z. B. Flugzeugmotor), sondern Moleküle, also H2, in Umwandlungsprozesse integriert werden müssen. Dafür benötigen wir steigende, nationale Elektrolyse-Kapazitäten (bis 2030 mindestens 10 GW). Da wir in Deutschland den benötigten Wasserstoff nicht allein mittels Windkraft oder PV-Strom herstellen können, sind wir auf ein EU-Wasserstoffnetz anstelle der bisherigen, fossilen Gasnetze und eine Wasserstoff-Importstrategie angewiesen, die das Prinzip der Diversifizierung von Quellen berücksichtigt.

Industrielle Wertschöpfung

Grundsätzlich gilt, dass die Bundesregierung auf marktwirtschaftliche Instrumente (CO2-Bepreisung im EU-Emissionshandel und Brennstoffemissionshandelsgesetz), zielgerichtete Förderinstrumente (seit 2021 z. B. das schon erfolgreiche Programm „Dekarbonisierung in der Industrie“) und einen Rahmen aus verlässlichen Regeln setzt.

Um die Wettbewerbsfähigkeit unserer Industrie angesichts hoher Energiepreise zu erhalten und zu steigern, kommen ein Industriestrompreis und daran angeknüpft Contracts for Difference (CfDs) ins Gespräch und möglicherweise zum Zuge. Zusätzlich hat das BMWK im Dezember 2022 eine Förderrichtlinie für zukünftige Klimaschutzverträge (Carbon Contracts for Difference, CCfD) veröffentlicht. Die Idee ist, Mehrkosten zu fördern, die bei klimafreundlichen, modernen Anwendungen entstehen und so zukünftig neue Technologien im industriellen Maßstab zu verankern. Das ist auch für den Mittelstand sowie Start-ups interessant.

Zukunftsmusik ist auch die „Carbon Management-Strategie„, an der das BMWK arbeitet. Sie besteht aus den beiden Ansätzen, das Kohlenstoff-Dioxid aus Prozessen und der Umwelt einzufangen sowie zu speichern / im Untergrund zu verpressen (Carbon Capture and Storage, CCS) bzw. es für weitere Prozesse zu nutzen (Carbon Capture and Utilisation, CCU). Wir müssen uns als Grüne mit diesen neuen Technologien beschäftigen und eine gesellschaftliche Diskussion lostreten bzw. begleiten, denn bisher haben wir uns aus ökologischen Gründen gegen die Einlagerung von CO2 am Festland oder im Meeresgrund entschieden (neue, zusätzliche Diskussion um Endlagerstätten und das Erbe für die Folge-Generationen).

Autor: Dieter Wiebusch

 

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