Zum Protest der Bäuerinnen und Bauern

 

Video-Botschaft von Dr. Robert Habeck,

Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, zu der Protestwoche des Deutschen Bauernverbands (07.01.2024):

„Der Bauernverband hat für heute und die nächsten Tage zu Protestaktionen aufgerufen. Einige andere Gruppen und Verbände schließen sich an. Sie wollen ihre Kritik zum Ausdruck bringen, einige einfach ihrem Ärger Luft verschaffen. Das ist ihr Recht.

Allerdings warnt der Bauernverband selbst inzwischen davor, dass die Proteste nicht vereinnahmt werden dürfen. Es kursieren Aufrufe mit Umsturzphantasien, extremistische Gruppen formieren sich, völkisch-nationalistische Symbole werden offen gezeigt.

Es wird sichtbar, dass in den letzten Jahren etwas ins Rutschen geraten ist, was den legitimen demokratischen Protest und die freie Meinungsäußerung entgrenzt, so dass nun auch zuvor Unsagbares legitimiert erscheint.

Ich möchte zu Anfang dieser Woche versuchen, einige Dinge glatt zu ziehen, und ein paar Vorschläge zur Differenzierung machen.

Erstens

Ich war sechs Jahre Landwirtschaftsminister. Ich habe viele Betriebe besucht und noch mehr Gespräche mit Bäuerinnen und Bauern geführt. Sie arbeiten sieben Tage die Woche, sind immer auf Abruf, und wenn andere ihren Jahresurlaub machen, haben sie Erntezeit. Ja, sie wirtschaften unter einem mächtigen ökonomischen Druck:

  • dem Preisdruck durch die Discounter,
  • der großen Schlachthöfe und Molkereien,
  • dem schwankenden Weltmarkt.

Es gibt gute, es gibt schlechte Jahre, aber vor allem gibt es ein strukturelles Problem: Bauern können ihre Produktionskosten oft nicht weitergeben, weil die Preise nicht von ihnen gemacht werden. Trotz Inflation, höheren Energie- und Lohnkosten können die Landwirte den Milchpreis nicht einfach anpassen; häufig haben sie Schwierigkeiten, ihre Produktionskosten zu decken. Es muss also immer mehr produziert werden. Und genau das passiert auch. Die Kühe heute geben gut 65 % mehr Milch als noch vor 30 Jahren, die Zahl der Höfe ist im gleichen Zeitraum um weit mehr als die Hälfte zurückgegangen, die Tierbestände pro Hof, sie werden immer größer. Die kleinen Höfe verschwinden. Wachse oder weiche, kaufe den Nachbarbetrieb auf oder verkaufe deinen. So ist die Realität.

Strukturwandel nennt man das, ich finde, etwas beschönigend.

Es ist die Industrialisierung der Landwirtschaft.

Dies allerdings ist auch die vom Bauernverband selbst vertretene Position: Als Indikator für den Fortschritt in der Landwirtschaft gilt der Strukturwandel – übersetzt also: das Höfesterben.

Das ist die Logik des Systems, in dem die Bauern wirtschaften. Unter der unionsgeführten Bundesregierung und den Agrarministerinnen und –ministern von CSU und CDU gaben über 100.000 Betriebe auf.

Natürlich will man angesichts solcher Probleme an jeder einzelnen Subvention ohne Abstriche festhalten. Nur gibt es auch andere Antworten:

  • faire Preise,
  • gute Bezahlung für anspruchsvolle Arbeit,
  • für Nachhaltigkeit, Klimaschutz und Tierschutz,
  • für direkte Vermarktung.

Meiner Ansicht nach sollte man die Debatte jetzt nutzen, um ernsthaft und ehrlich genau darüber zu diskutieren.

Zweitens

Wir in der Bundesregierung sind den Bauern wegen des Kostendrucks entgegengekommen. Wir behalten einen wesentlichen Teil der jetzt diskutierten Subventionen bei:

  • die Befreiung von der KFZ-Steuer für landwirtschaftliche Fahrzeuge,
  • die Subvention für den Agrardiesel bauen wir schrittweise ab.

So wird es fairer. Ganz können wir jedoch nicht darauf verzichten. Der Einspardruck, zu dem das Urteil des Verfassungsgerichts geführt hat, ist da. Wir mussten ad hoc große Milliardensummen einsparen. Dieser Aufgabe haben wir uns gestellt. Und den Haushalt neu aufgestellt. Es gab ja einen fertigen Entwurf vor dem Urteil, der anderes vorsah. Aber es ist eine Tatsache, dass die Union mit dem Ziel geklagt hat, dass Milliarden eingespart werden. Und so fiel das Urteil dann aus. Die Konsequenz ist, dass gespart wird. Diese Einsparungen haben wir alles in allem breit verteilt, gleichzeitig sichern wir wichtige Entlastungen und Investitionen ab. Das alles tun wir, weil wir als Regierung eine gesamte Lösung finden mussten, und zwar innerhalb der Rahmenbedingungen, die jetzt gelten.

Drittens

Ich halte eine Debatte über diese Rahmenbedingungen für notwendig, eine Diskussion über die Frage, wie wir unser Gemeinwesen in Zukunft finanzieren, damit es ein Gemeinwesen bleibt.

Worum es mir jedoch heute geht, ist etwas Anderes: Hinter den angekündigten Protesten steht mehr als die jetzigen Regierungsentscheidungen.

Wir alle erleben einen Umbruch: Kriege und Krisen, die hohe Inflation über die letzten zwei Jahre. Die Hoffnung auf eine bessere Zukunft ist der Angst vor einer schlechteren gewichen. Erschöpfung und Enttäuschung, Sorge und Wut machen sich breit.

Aber, und das ist jetzt ein großes ABER: Wir dürfen nicht zulassen, dass Extremisten diese Verunsicherung kapern. Wir dürfen nicht blind sein. Umsturzphantasien heißen nichts anderes, als unseren demokratischen Staat zerstören zu wollen.

Wir haben das Jahr 2024. Wir leben, anders als in der Weimarer Republik, in einer seit Jahrzehnten gewachsenen Demokratie. Mit starken Institutionen. Mit einer noch immer von der Mitte getragenen Gesellschaft. Mit einer Kultur der Verständigung. Das hat unsere liberale Demokratie seit ihrer Gründung vor 75 Jahren getragen. Erbaut und erarbeitet von verschiedenen Generationen und unterschiedlichen Parteien und Strömungen. Streitbar und doch immer wieder Hand in Hand. Errichtet auf dem Grundgesetz als Fundament. Dass es so kommen würde, war im Gründungsjahr 1949, so kurz nach Nazi-Diktatur und Krieg, nach Zivilisationsbruch und Holocaust, alles andere als garantiert. Es ist Zeit, sich klar zu machen, dass es auch jetzt nicht garantiert ist. Es gibt keine Garantie, dass nicht auch in Deutschland die Debatte immer weiter verroht, so dass am Ende das Recht und der Rechtsstaat gefährdet sind. Unsere liberale Demokratie ist ein Schatz, den wir verteidigen müssen. Unsere Republik ist eine, für die wir arbeiten müssen. Gegen das Programm des Ressentiments und des Populismus halten wir ein Verständnis von erneuertem Republikanismus – um das geht es jetzt! Es geht um einen solchen Patriotismus – im besten Sinne.

Der Bauernverband betont immer wieder, dass er gewaltfrei und friedlich demonstrieren will. Die Erfahrungen der letzten Demonstrationen zeigen allerdings, dass das nicht bei allen ankommt. Wenn an Traktoren Galgen hängen, wenn Traktorkolonnen zu privaten Häusern fahren, dann ist eine Grenze überschritten. Von der Verrohung in den sozialen Medien gar nicht zu sprechen, wo – häufig unter der Feigheit von irgendwelchen Decknamen – Gewaltaufrufe verbreitet werden. Es ist ein Wesenszeichen der liberalen Demokratie, dass sie auch ihren Gegnern Platz gibt. Aber unser Grundgesetz setzt Verfassungsfeinden Grenzen. Wer die Demokratie zersetzen will, muss dafür mit den Mitteln des Rechtsstaats zur Rechenschaft gezogen werden. Social-Media-Kampagnen, die teils von Putin bezahlt werden, in denen man sich als Opfer inszeniert, um Gewalt gegen Personen und Dinge zu rechtfertigen, politische Programme, die Umsturz oder gar Umvolkung das Wort reden und immer anderen die Schuld geben, Rechtsradikale, die den Schutzraum der Freiheit nutzen, um sie abzuschaffen – das dürfen wir nicht dulden. Genauso dürfen wir als Gesellschaft den Platz nicht den Verfassungsfeinden überlassen.

Eine Zivilgesellschaft lebt davon, sich einzubringen, einzumischen, hinzusehen. Eine Zivilgesellschaft lebt von Zivilcourage. Zivilcourage ist der Mut, auch für andere einzustehen.

Die Radikalen und Populisten haben Aufwind. Sie sind voll motiviert und mobilisiert. Entscheidend ist jetzt, dass die große schweigende Mehrheit sich einbringt, sprich, wählen geht. Und sich klar macht, dass Demokraten Differenzen haben mögen, der politische Feind, der gemeinsame Hauptgegner, jedoch die Anti-Demokraten sind.

Ich bin Minister. Mich schützen qua Amt Beamte – und sie tun das vorbildlich. Aber wie viele Menschen in Dörfern und Städten müssen allein mit Bedrohungen klarkommen, werden eingeschüchtert, ihre Kinder, Männer, Frauen werden bedroht oder fühlen sich bedroht. Diese Menschen tragen die Demokratie. Für sie müssen wir eintreten.

Diese Republik ist der beste Staat, den Deutschland je hatte. Wir müssen für sie einstehen. Wehren wir die Bedrohung ab. Haken wir uns unter. Seien wir solidarisch, und in dem Sinne patriotisch. In dieser Woche und in den nächsten. In dieser Zeit.“

Weitere Informationen

Die bündnisgrüne Bundestagsfraktion hat die wirtschaftlichen Folgen des Haushaltsentwurfs für die landwirtschaftlichen Betriebe aktualisiert dargestellt.

Die Ideen für eine zukünftige Landwirtschaftspolitik sind in einem Papier, an dem u. a. auch R. Habeck mitgeschrieben hat, niedergelegt.

Auf den Punkt gebrachte Informationen zum Thema liefern Mitglieder der jungen Arbeitsgemeinschaft Bäuerliche Landwirtschaft (jABL) in ihrem heutigen Video-Beitrag.

 

Dieter Wiebusch