Aufnahme von Geflüchteten – Kein Grund für Sorge in den Gemeinden 1. Oktober 20201. Oktober 2020 Wie arg vermehren sich die Sorgen und Ängste in ostdeutschen Gemeinden, wenn Geflüchtete aufgenommen werden? Scheinbar gar nicht. Zu diesem Schluss kommt zumindest eine aktuelle Studie, die in Zusammenarbeit des Mannheimer Zentrums für Europäische Sozialforschung (MZES), des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB) und der Universität New York entstanden ist. Dieser Studie nach gibt es keinen direkten Zusammenhang zwischen Fremdenfeindlichkeit und der Anwesenheit Geflüchteter in der jeweiligen Gemeinde. Sind sie nicht da, gibt es Rassismus. Sind sie da, gibt es ihn ebenfalls – und zwar unverändert. Die Anwesenheit von Geflüchteten sorgt nicht dafür, dass die Fremdenfeindlichkeit in ostdeutschen Gemeinden anwächst. Eine neue Studie zeigt, dass die Aufnahme von Migrant*innen rechte Meinungen eher mäßigen kann. Aus der Pressemitteilung der Universität Mannheim Im Rahmen der Veröffentlichung hat die Universität Mannheim eine Pressemitteilung zur Studie „Strangers in Hostile Lands: Exposure to Refugees and Right-Wing Support in Germany’s Eastern Regions“ veröffentlicht. Darin ist unter anderem zu lesen, dass 236 ostdeutsche Gemeinden mit und ohne Flüchtlingen vor Ort untersucht wurden. Die Orte liegen in Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt, Brandenburg, Thüringen und Sachsen. In den ausgesuchten Orten lebten 2015 „relativ wenige Ausländer […], nämlich weniger als 1,5 Prozent der Gesamtbevölkerung“. Noch ein wichtiges Auswahlkriterium: „Ausländerfeindliche Einstellungen waren in allen ausgewählten Gemeinden weit verbreitet“. In rund 50 Prozent der Gemeinden sind in oder nach 2015 Migrantinnen und Migranten untergekommen. Für die Analyse, ob und wie stark sich dies auf die vor Ort vorhandene Fremdenfeindlichkeit auswirkte, wurden zum Beispiel die Wahlergebnisse von 2013 und 2017 verglichen. Zudem wurden mehr als 1.300 Personen in einer Umfrage zum Thema befragt. Zwar wurde eine leichte Mäßigung von politisch eher rechten Personen beobachtet, einen starken Einfluss – etwa einen sprunghaften Anstieg von rechter politischer Gesinnung – gab es aber nicht. Vielmehr fand eine Annäherung statt. Denn: „Umgekehrt seien Personen mit eher linken, zuwanderungsfreundlichen Einstellungen bei der Ansiedlung von Flüchtlingen in ihrer Gemeinde diesbezüglich etwas kritischer geworden“. Aussagen der Wissenschaftler*innen, die an der Studie arbeiteten „Die weit verbreiteten und seit 2015 noch stärkeren Vorbehalte gegen Migration scheinen sich also weniger auf die Situation vor Ort, als vielmehr auf die Gesellschaft als Ganzes zu beziehen“, erklärt Dr. Johanna Gereke, Research Fellow und Projektleiterin am Mannheimer Zentrum für Europäische Sozialforschung (MZES) der Universität Mannheim. „Unser Ziel war herauszufinden, ob sich die Einstellungen und das Verhalten der Einheimischen gegenüber Zugewanderten verändern, wenn diese direkt vor Ort zusammenleben. Neben steigender Fremdenfeindlichkeit wäre auch denkbar gewesen, dass der direkte Kontakt zu positiveren Einstellungen gegenüber Fremden führt“, erläutert Max Schaub vom WZB Berlin. „Beides war nicht der Fall. Persönliche Erfahrungen mit Geflüchteten scheinen also nicht ausschlaggebend zu sein für generelle Einstellungen und das Wahlverhalten“, so eine Schlussfolgerung der Wissenschaftler*innen. Und quasi als Fazit: „Einerseits ist es zwar plausibel, dass die Aufnahme zahlreicher Geflüchteter seit 2015 zu steigenden Ressentiments und zum Aufstieg der AfD in den letzten Jahren beigetragen hat. Mit unserer Studie zeigen wir aber, dass dies nicht davon abhängt, ob die Menschen in ihrem direkten Umfeld mit Flüchtlingen konfrontiert sind.“ Die Studie zum kostenlosen Nachlesen Die Studie zum Nachlesen finden Sie und findet ihr gratis mit diesem Link. In dem Dokument findet sich der Hinweis, dass sie zum ersten Mal am 13. September 2020 veröffentlicht wurde – demnach also aktuelle Informationen liefert. Der Haupttext ist dabei auf Englisch. Wenn Sie und ihr ihn aber übersetzen wollt, sind die beiden Web-Tools DeepL und Google Übersetzer recht hilfreich. Da es sich dort aber um automatische Übersetzungen handelt und bei dem Ausgangstext um einen wissenschaftliche Veröffentlichung, kann es natürlich zu Übersetzungs- bzw. Sinnfehlern kommen. Bei speziellen Fragen können sich Interessierte aber sicher an die beteiligten Wissenschaftler*innen Johanna Gereke, Max Schaub und Delia Baldassarri wenden. Kontaktdaten finden sich in der verlinkten Pressemitteilung. „Nette Nachbarschaft“ – taz-Artikel zum Thema Auf die Studie aufmerksam geworden ist die Sprecherin des Stadtverbands Pirna von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Bärbel Falke, vermittels des hier verlinkten Artikels in der Tageszeitung taz. Darin wird die Studie als Grund dafür angeführt, dass der Staat bei der Aufnahme von Geflüchteten – gerade mit Hinblick auf die humanitäre Katastrophe in Moria – „weniger knauserig sein sollte“. Das finden auch viele Gemeinden in Deutschland, die seit Monaten anbieten, Menschen aus dem ehemaligen Lager Moria aufzunehmen. „Diese Gemeinden“, so Bärbel Falke, „verhalten sich viel rationaler als der Bundesinnenminister, der die Aufnahme weiterer Menschen in Not bisher verhindert hat. Sie haben die Erfahrung gemacht, dass die Integration der neuen Mitbürger*innen zwar nicht glatt verläuft, aber am Ende Handwerker*innen, Pflegekräfte, sogar Schulassistent*innen in ihrer neuen Heimat mit anpacken. Der Frust, aus dem Fremdenfeindlichkeit und Rassismus erwachsen, ist nicht so eindimensional erklärbar, wie Herr Seehofer glaubt. Er speist sich u. a. aus den Nachwendeerfahrungen der Ostdeutschen. Wer hier tiefer graben will, dem kann ich die folgenden Bücher empfehlen: Daniela Dahn: Der Schnee von gestern ist die Sintflut von heute. Die Einheit – Eine Abrechnung. Wolfgang Engler, Jana Hensel: Wer wir sind. Die Erfahrung, ostdeutsch zu sein. Valerie Schönian: Ostbewusstsein. Warum Nachwendekinder für den Osten streiten und was das für die Deutsche Einheit bedeutet.“ Ein Text von Johannes Domke und Bärbel Falke