Öffentliche Präsentation des Bürgergutachtens

 

Gestern Abend übergab der Bürgerrat (BR) seine Handlungsempfehlungen zum Thema „Gestaltung des Marktplatzes – Historischer Marktplatz im 21. Jahrhundert“ in der Aula des Schillergymnasiums an den Stadtrat (SR).

Worum es ging

Pirna besitzt einen historischen Marktplatz, der weitgehend so erhalten ist, wie ihn Bernardo Belotto, genannt Canaletto, 1768 gemalt hat. Das ist ein großes Geschenk und eine Bürde zugleich. Rund 250 Jahre später ist eine lebhafte Diskussion im Gange, wie dieses Geschenk erhalten und zugleich die Aufenthalts- und Lebensqualität im Zentrum der Stadt gesteigert werden kann. Erste Maßnahmen betrafen die Beschränkung des Autoverkehrs. So konnten gastronomische Einrichtungen ihre Tische und Stühle auf dem Markt platzieren. Touristen und Einheimische können dort inzwischen essen und trinken, ohne direkt hinter dem Auspuff von Autos sitzen zu müssen.

Auf der anderen Seite des Marktplatzes, zwischen Rathaus und Stadthaus, macht unsere steinerne Stadt ihrem Namen alle Ehre. Kein Baum spendet Schatten, nur wenige ungemütliche Bänke laden eher nicht zum Verweilen ein. Im Sommer schleichen die Menschen dicht an den Hauswänden entlang, um der unerträglichen Hitze zu entkommen. Auch die wenigen, eher lieblos platzierten Spielgeräte auf der einzigen, nicht versiegelten Brachfläche sind nicht einladend.

Der Bürgerrat – ein demokratischer Prozess

Der BR, eine Idee der Fraktion Bündnis 90 / Die Grünen und SPD, wurde von allen im SR vertretenen Fraktionen beschlossen (außer AfD) und konnte sich im September 2023 zum Thema Marktplatz an die Arbeit machen. Wesentliche Gelingensfaktoren waren die großzügige finanzielle Förderung durch das Grüne Ministerium für Justiz, Demokratie, Europa und Gleichstellung und die professionelle Moderation durch Julia Fielitz, Kristina Henry und Jennifer Schulz von der Zebralog GmbH. Weitere Hintergründe zur Bedeutung, zum Prozess eines Bürgerrats sowie zur Weiterarbeit mit seinem Gutachten sind in unserer Homepage nachzulesen.

Je 15 zufällig ausgeloste Frauen und Männer unterschiedlichen Alters und aus unterschiedlichen Stadtteilen erarbeiteten ein Bürgergutachten. Das beschreibt in 3 Handlungsfeldern die Möglichkeiten der Weiterentwicklung des historischen Marktes im 21. Jahrhundert.

Deutlich wurde: Es sind z. T. nur kleine Stellschrauben, an denen gedreht werden muss, z. B. die Erweiterung der Öffnungszeiten von Pirna-Information und öffentlichen Toiletten. Die Realisierung anderer Vorschläge (Beschattung und einladende Sitzmöglichkeiten) wird einen größeren Aufwand kosten. Auf jeden Fall hat der SR nun ein großes Reservoir an sinnvollen Vorschlägen. Gestern nun übergaben Mitglieder des BR das erarbeitete Bürgergutachten an Mitglieder des SR.

Der BR – ein Modell für Pirnas Zukunft?

Schon im Vorfeld hatte es in Pirna heftiges Pro- und Contra zum BR gegeben. Die einen zweifelten den Nutzen eines zusätzlichen Gremiums in Pirna an. Sie meinten, dass da im SR, seinen Ausschüssen und Beiräten genügend Menschen säßen, die Sitzungen gewohnt seien, den notwendigen Sachverstand hätten und das Problem schon irgendwie lösen würden. Die anderen beklagten Demokratiemüdigkeit, zu wenige Beteiligungsmöglichkeiten und eine Entfremdung der Bürgerschaft von ihren gewählten Vertreter*innen.

Lassen wir die Mitglieder des BR selbst zu Wort kommen:

„Dankbar, ein Teil des Bürgerrates zu sein. Vor allem so unterschiedliche Ideen, Anregungen, Meinungen, Bedürfnisse und Menschen zu hören und kennenzulernen. Eine Umgestaltung des Marktes erscheint mir jetzt sehr sinnvoll & wertvoll zu sein“

„Chance auf Mitbestimmung im Kleinen.“

„Es bewegt mich zutiefst, wenn ich erlebe, wie Menschen, die sich noch nie vorher gesehen haben, innerhalb eines Tages in Verbindung kommen.“

„Ich freue mich, dass Demokratie noch immer funktioniert, dass man unterschiedliche Standpunkte respektiert und zielorientiert zusammenarbeitet.“

„[…] als ich sagte, dass ich nach Pirna ziehen werde, gab es viele erstaunte Reaktionen: ‚Warum?‘ Nach dem Bürgerrat weiß ich nun meine Antwort: „Weil Pirna lebt. Weil es Austausch gibt. Weil es nicht nur die Schlagzeilen in den Zeitungen gibt. Deshalb.“

„[…] ein Format was Zukunft haben MUSS!“

Weitere Anmerkungen sind in der Handlungsempfehlung des Bürgerrats nachzulesen.

Natürlich sind auch die Contra-Stimmen seit gestern nicht verstummt, im Gegenteil. Gleich nach der Präsentation der Ergebnisse wird von „teurem Humbug“ ohne Erkenntnisgewinn geschrieben. Die BR-Gegner räumen zwar ein, dass die Bürgerrät*innen mit Stolz ihre Arbeit präsentierten und sich mit Engagement beteiligt haben. Aber am Ende mäkeln, meckern, motzen, entwerten, diffamieren sie den BR. Sie fordern zwar mehr Bürgerbeteiligung, können aber nicht zugeben, dass solch ein demokratisches Format gelingen, gute Ergebnisse zeitigen und auch noch Spaß machen kann.

Der BR war das Gegenteil von Krise. Er ermöglichte das Gefühl von Selbstwirksamkeit, Gemeinschaft und sinnvollem Tun.

Wir erwarten, dass die Stadträte*innen die Ergebnisse des BR ernsthaft prüfen und der Stadtgesellschaft Rechenschaft darüber ablegen, welche Vorschläge realisiert werden und welche nicht. Leider interessierten sich die Stadträte der Freien Wähler, der AfD und der Pirnaer Bürgerinitiative überhaupt nicht für die Ergebnisse der BR. Sie glänzten mit Abwesenheit. Fraglich auch, ob sie in der Zukunft das Potential von Bürgerräten erkennen und es als eine Möglichkeit nutzen, Bürger*innen bei der Lösung komplexer Probleme einzubeziehen.

Wir hoffen, dass es weitere Förderungen für künftige Bürgerräte geben wird. So könnte dieses Element der direkten Demokratie in Pirna zur guten Routine werden.

„Das war gut.“

 

Dr. Bärbel Falke