Dreistigkeit siegt?

 

Der Verein ‚Freie Wähler – wir für Pirna’ ist erneut bezüglich seines Demokratieverständnisses ins Gerede gekommen. Im Kern geht es um die Bestimmungen des sächsischen Kommunalwahlgesetzes, in dem u. a. der Abstimmungsmodus im Zusammenhang mit der Wahl von Bewerber*innen, hier von den Kandidat*innen für die Oberbürgermeister*innenwahl am 26.11.2023, festgelegt ist.

In der SZ vom 05.10.22 wurde gleich auf Seite 1 berichtet, dass „die Wählervereinigung den 55-Jährigen [Ralf Thiele] jetzt einstimmig als Kandidat für den Posten des Rathauschefs nominiert hat. Er ist damit der erste offizielle Bewerber.“ Für die aufmerksame Leser*in gibt es in diesen zwei Sätzen drei wichtige Schlüsselbegriffe: einstimmig, nominiert, offiziell.

Denn das impliziert lt. Kommunalwahlgesetz: Konstituierung einer Mitglieder- oder Nominierungsversammlung, Abstimmung über die Versammlungsleiter*in, Abstimmung zur Wahlkommission innerhalb der Versammlung, Abstimmung über zwei stimmberechtigte Mitglieder für die Versicherung an Eides statt, Bewerber*innenliste, Befragung der Bewerber*innen, geheime Abstimmung, eindeutiges Wahlergebnis, Unterschrift der Versammlungsleiter*in sowie der beiden Personen für die Erklärung an Eides statt hinsichtlich des ordnungsgemäßen Ablaufs des Wahlrituals. Klingt aufwändig, ist es auch, gehört aber zur gesetzlich festgelegten Praxis.

Tücken der Kür

Herr Thiele verkündet in seiner ausführlichen Presse-Darstellung vom 05.10.22 (Seite 15), dass er sich mit Absicht schon so früh zum offiziellen Kandidaten hat küren lassen, um als (aus)gewählter Bürgermeister-Bewerber durch die Lande zu reisen und sich mit schon fertigen Flyern, Werbe-Film und Internet-Seite als für dieses Amt bestens geeigneter Mensch (s. u.) anzupreisen.

Wäre die Abstimmung Ende September / Anfang Oktober 2022 formvollendet abgelaufen, was laut SZ zumindest plausibel erscheint, dann widerspräche dies den Vorschriften des Kommunalwahlgesetzes. Dieses regelt mit gutem Grund, dass die Kandidat*innen-Festlegung erst innerhalb von 12 Monaten vor dem Termin der Amtsübergabe (Februar 2024) stattfinden darf. Wenn die Abstimmung allerdings so nicht stattgefunden hat, dann ist die Pressemitteilung über die offizielle Nominierung eine Täuschung der Bürgerinnen und Bürger gewesen.

Auf Schlingerkurs

Nun hat jemand den Verein ‚Freie Wähler – wir für Pirna’ offensichtlich im April 2023 auf diesen möglichen „Fehler“, der zu einer Nichtzulassung des Kandidaten führen müsste, hingewiesen. Der Vorstand lädt nämlich am 11.04.23 in der Homepage zu einer Mitgliederversammlung am 04.05.23 ein, allerdings ohne Nennung des wichtigen TOPs „Kandidaten-Nominierung für die OB-Wahl“. Die SZ berichtet am 04.05.23 morgens, dass Herr Thiele am 04.05.2023 [also noch am selben Abend] ganz offiziell nominiert wird, weil das schon lange so geplant gewesen sei.

Merke: Für die FW / SZ gibt es einen Unterschied zwischen „offiziell“ und „ganz offiziell“.

Merk-würdiges Demokratieverständnis

Was heißt das aber nun für das Demokratieverständnis der FW?

‚Freie Wähler – wir für Pirna’ missachten Regeln im demokratischen Austausch und Wettbewerb.

  • Das war schon bei der Kommunalwahl 2019 so, als der Verein entgegen des Ratsbeschlusses, an dem FW-Ratsmitglieder mitgewirkt hatten, vorzeitig im gesamten Stadtgebiet plakatieren ließ und sich dann mit „sorry – Fehler des beauftragten Unternehmens“ herausredete.
  • Und setzte sich am 12.11.2019 fort, als die Fraktion ‚Freie Wähler – wir für Pirna‘  (Antragsteller) den Vertreter*innen der Bürgerinitiative „IPO stoppen“ das Rederecht im Rat mit Unterstützung von den Christlichen, Blauen und Bürgerlichen verweigerte. Dies geschah zu Beginn der auf Antrag von Grünen / SPD stattfindenden Sondersitzung des Rates zum IPO, zu der Oberbürgermeister Hanke (FW Pirna) die Vertreter*innen der BI eingeladen und obwohl er ihnen noch vor dem Rathaus 30 Minuten Redezeit versprochen hatte. Löwenhaft unternahm er fünf Anläufe gegen seine Fraktion, um das überfallartige Abwürgen der kritischen Stimmen zu verhindern, zog aber gegen sie und die Ratsmehrheit den kürzeren.
  • Und geht jetzt weiter, denn der Verein wollte mit voller Absicht seinen berufenen Kandidaten 14 Monate lang vor dem Wahltermin präsentieren, ihn mit seinen Vorstellungen den Wähler*innen zur Schau stellen, um lange vor anderen Mitbewerber*innen, die sich an die gesetzlichen Bestimmungen halten, eine Duftmarke zu setzen.

‚Freie Wähler – wir für Pirna’ scheren sich nicht um demokratische Mitbestimmung.

  • Mal im Ernst:

Morgens wird über die Zeitung verkündet, dass der vorbestimmte Kandidat abends in geheimer Wahl bestätigt werden wird.

  • Traute sich jetzt noch ein Mitglied im Verein der Freien Wähler, bei dem gesetzlich geforderten Abstimmungsritual am 04.05.23 als Gegenkandidat aufzutreten? Gab es am 04.05.23 überhaupt noch in der Versammlung die Frage nach weiteren Bewerber*innen für eine demokratische Abstimmung um die Kandidatur? Fand jetzt noch eine Bestenauswahl statt?
  • Kann man in einer geheimen Abstimmung noch gegen den auserkorenen, nach dem 7-monatigen Schaulaufen überall herumgereichten Bewerber Thiele votieren?
  • Schlussfolgerung: Das zentrale Instrument „Wahl-Entscheidung“ mit der Freiheit einer solchen wird von den Freien Wählern offensichtlich ad absurdum geführt.

Vergangenheit

Es hat leider schon Tradition, dass die FW es mit gesetzlichen Vorgaben nicht so sehr genau nehmen. Laut SZ vom 06.10.20 hat die Wählervereinigung am 07.02.2019 ihre Listen für die Kommunalwahl 2019 fehlerhaft wählen lassen. Offensichtlich hatte die Versammlungsleitung den Mitgliedern, einschließlich OB Hanke, eingeräumt, über das gesetzlich festgelegte, geheime Votum bei den Wahlen entscheiden zu können: Die Mitglieder entschieden sich für eine offene Abstimmung der Listen.

Die jetzigen Vorstandsmitglieder Böhmer, Thiele (OB-Kandidat) und Vater waren als Personen bestimmt worden, die Erklärung an Eides statt abzugeben, und waren sicherlich auch über die Bedeutung der Erklärung informiert worden (macht man als verantwortungsbewusste Versammlungsleitung so). Alle drei unterschrieben damals die Erklärung (ihrem Charakter nach ein Protokoll, das für die Versammlung angeblich schon von jemandem vorausgefüllt war) und versicherten darin, dass die Abstimmungen geheim vollzogen worden seien. Nach einem Ermittlungsverfahren in der Causa gab sich die eingeschaltete Staatsanwaltschaft mit der Einlassung der drei im Hauptberuf als Unternehmer tätigen FWler zufrieden, dass sie nichts von der Pflicht zur geheimen Abstimmung gewusst und die von ihnen unterschriebene Versicherung gemeinschaftlich nicht gelesen hätten. Ernsthaft?

Sie sind straffrei geblieben. Und so schließt sich vermutlich der Kreis zur Gegenwart.

Wichtige Anmerkung zum Schluss:

Bündnis 90 / Die Grünen Pirna warten immer noch auf eine öffentliche Distanzierung des Vereins ‚Freie Wähler – wir für Pirna’, besonders des OB-Kandidaten Ralf Thiele, von seinem Vorstandsmitglied G. Heimann.

Heimann hatte im Dezember 2022 seinen Freund G. Kubitscheck, dessen Institut IfS in Schnellroda neben der Jugendorganisation der AfD sowie dem Verein „Ein-Prozent e.V.“ vom Verfassungsschutz inzwischen als gesichert rechtsextrem (s. Tagesschau 26.04.2023, zuletzt überprüft 09.05., 9.20 h) eingestuft worden ist, als Gastredner nach Pirna geholt und zu der Veranstaltung Menschen aus der Pirnaer Stadtgesellschaft eingeladen (s. Artikel in dieser Homepage „Sie irrlichtern weiter“, 19.12.22).

Für die Pirnaer Bürgerinnen und Bürger ist es notwendig, die Position von Herrn Thiele bezüglich rechtsextremer Ideologie zu kennen und zu erfahren, wie er sich vom Mitbewerber T. Lochner (AfD) abzugrenzen sowie rechtsextreme Umtriebe in Pirna zu unterbinden gedenkt.

Die Reaktion von OB Hanke auf den Vorgang haben wir in der Homepage veröffentlicht und kommentiert (s. Artikel in dieser Homepage „Pirna noch ohne Leuchtfeuer“, 24.02.23).

 

Autor: Dieter Wiebusch