Pirna packt die Sonne ins Netz

BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN kämpft mit Ihnen und mit euch für mehr Akzeptanz, Gerechtigkeit und Gleichbehandlung.
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Wärmenetz

Was schon im geleakten Gebäudeenergiegesetz (GEG) als Alternative enthalten war, nämlich die eigene Wohnung mit Wärme aus einem Fern- / Nahwärmenetz zu beheizen, wenn die Wärme letztlich CO2-neutral erzeugt wird, kommt jetzt mit Zeitverzögerung in den öffentlichen Fokus und Diskurs.

Die Teilnehmer:innen am Fernwärme-Gipfel im BMWK (12.06.2023) haben die Vorteile in ihrer Abschluss-Erklärung so beschrieben: „Wärmenetze können eine flexible und – im Vergleich mit anderen Heizungsarten – besonders kosteneffiziente klimaneutrale Lösung für die Wärmeversorgung von Kommunen oder Stadtquartieren sein. Denn sie ermöglichen es, den Wärmebedarf ohne Neuinstallation einer Einzelheizung aus zentralen, zukünftig erneuerbaren Quellen zu decken. Zudem können sie verschiedene erneuerbare Energiequellen und unvermeidbare Abwärme in die Wärmeversorgung integrieren und besonders effizient die Nutzung von Strom und Wärme miteinander verbinden. Sie sind damit besonders geeignet für eine schrittweise und sozialverträgliche Transformation.“

Und sie legen ein Bekenntnis ab, das zeitliche Verpflichtungen im Hinblick auf die Klimaneutralität 2045 enthält: „Die unterzeichnenden Akteur:innen bekennen sich zum Ziel, die Fern- und Nahwärme zu einer klimaneutralen sowie für Unternehmen und Verbraucher:innen wirtschaftlich attraktiven Option zu machen. Bis spätestens 2045 sollen alle Wärmenetze vollständig dekarbonisiert werden. Für das Jahr 2030 streben wir insgesamt einen Anteil von 50 % Wärme aus erneuerbaren Energien und unvermeidbarer Abwärme an, wobei eine flexible Umsetzung in Abhängigkeit von der lokalen Situation und dem Alter der vorhandenen Anlagen möglich sein soll.“

Wärmenetz und Solarthermie

Die Stadtwerke Pirna haben seit Jahren in ihr Fernwärmenetz investiert, Wärmeverluste im Netz dabei minimiert, Übergabepunkte modernisiert. Nun ist ein weiterer Schritt geleistet, um die Wärmeerzeugung zu dekarbonisieren. Die erste Solarthermie-Anlage auf einem der Trinkwasser-Hochbehälter auf dem Sonnenstein kann ca. 20 Einfamilienhäuser mit der aufgefangenen Sonnenenergie versorgen. Eine baugleiche Röhrenkonstruktion auf dem zweiten Hochbehälter kommt demnächst dazu und trägt dazu bei, Hunderte Tonnen Kohlenstoffdioxid im Jahr einzusparen (SZ, 21.04.2023).

Wärmenetz und Flusswasser

In Dänemark und weiteren skandinavischen Ländern ist es inzwischen Realität geworden: Nach dem Siegeszug der Wärmepumpen-Technologie für die Einzelheizung eines Hauses folgen Großwärmepumpen, auch deutscher Hersteller, die z. B. ab Oktober in Esbjerg 100.000 Menschen mit Energie, dem Meerwasser entzogen, für Heizung und Warmwasser über ein Fernwärmenetz versorgen sollen.

Erste, ähnliche Modell-Projekte sollen in Deutschland z. B. in Mannheim am Rhein / Neckar und in Halle an der Saale umgesetzt werden. Und in Pirna? Ein riesiger Schritt zur Dekarbonisierung des Fernwärmenetzes könnte darin bestehen, dass eine Großwärmepumpe an der Elbe ihre Arbeit tut!

Das energetische Quartierskonzept südliche Altstadt: Elbwasser, Wärmepumpe, Fernwärme und Photovoltaik im Zusammenspiel

Durch einen kleinen Abzweig wird am Elbufer Wasser einer Wärmepumpe zugeführt. In ihrem Tauscher (einem System, in dem das Elbwasser in seinem Röhrensystem um eine Kühlmittelflüssigkeit [kann auch CO2  sein], die in einem getrennten, eigenen Röhrensystem gegen die Strömungsrichtung des Elbwassers fließt, herumgeführt wird) werden dem Elbwasser bei der Begegnung 2 bis 4 oC seiner Temperatur entzogen; danach fließt es wieder ins Flussbett Richtung Dresden / Hamburg zurück. Das Kühlmittel hat einen sehr niedrigen Siedepunkt und verdampft durch die aufgenommene Wärmeenergie, geht also in den gasförmigen Aggregatszustand über. Mit Hilfe von Strom wird das Gas im Verdichter weiter zusammengedrückt und dadurch heißer (spürt man beim Aufpumpen eines Fahrrads). Je nach Kühlmittel können 75 bis 90 oC erreicht werden. Das reicht aus, um in einem weiteren Tauscher die Wärmeenergie in das Wasser im Röhrensystem des Fernwärmenetzes zu „übertragen“. Flusswasser, Kühlmittel und Fernwärme-Flüssigkeit strömen als „Temperaturträger“ in getrennten Röhren, Kühlmittel und Fernwärmewasser in einem jeweils geschlossenen Kreislauf. Im Wunschtraum für Pirna könnten Fernwärme, regenerativ aufgeheizt aus Elbwasser, und Photovoltaik-Strom, regenerativ erzeugt in Solarmodulen auf den Dächern der Häuser in der südlichen Altstadt, zusammengebracht werden – das ideale, energetische Quartierskonzept, wenn Fernwärmeleitungen direkt von der Großwärmepumpe am Elbufer zu den Häusern im Quartier ziehen und von dort eine Stromleitung (über einen Batteriespeicher) zum Verdichter der Wärmepumpe angelegt ist.

Für alle Beteiligten wäre es eine Win-Win-Situation:

  • Die Stadtwerke Pirna haben eine weitere Quelle, um ihr Wärmenetz klimaneutral zu bekommen.
  • Eigentümer*innen und Bewohner*innen der Häuser müssen sich nicht mehr um klimaneutrale Heizungssysteme kümmern.
  • Sie können als Vermieter*innen der Dachflächen oder Stromproduzent*innen profitieren.
  • Investor*innen für dieses Projekt sind Bürgerinnen und Bürger aus Pirna, die eine Bürgerenergiegenossenschaft gründen und als Partner*innen den Stadtwerken zur Seite stehen.
  • Die Elbe heizt sich während der Sommermonate nicht weiter auf, sondern wird eher für ein angenehmes Klima in der Nähe der Innenstadt sorgen.
  • Das dient auch den Lebewesen in der Elbe, denn je kälter das Wasser ist, desto sauerstoffreicher ist es.
  • Das ist besonders günstig in einer Situation, in der die Elbe aufgrund des immer heißeren, trockneren Sommerwetters deutlich weniger Wasser führt.

Stromnetz

Doppelter Nutzen vom Acker

Das Beispiel vor den Toren von Pillnitz könnte auch auf Acker- oder Wiesenflächen in Pirna Schule machen. Und von den Stadtwerken für die klimaneutrale Stromproduktion genutzt werden.

Vertikal aufgeständerte, in Reihen angeordnete PV-Module, die in Nord-Süd-Richtung aufgestellt sind, erzeugen zwischen Pillnitz und Graupa auf der gleichen Fläche aus Sonnen- Stromenergie, auf der auch mit Hilfe des Sonnenlichts Bio-Energie synthetisiert wird. Denn die Reihen sind so konstruiert, dass zwischen ihnen Ackerbau oder z. B. Obstanbau betrieben werden kann.

Die Module haben zwei „Gesichter“ und damit auf der gleichen Fläche deutlich höhere Leistung. Dadurch, dass die Sonne während des Vormittags die eine, am Nachmittag die andere Seite direkt bescheint, erfolgt die Stromproduktion über den ganzen Tag verteilt gleichmäßiger. So hat man mittags keine Stromspitze, die die Netze belastet, sondern produziert Strom zu Zeiten, in denen größere Mengen im Netz benötigt werden. Das erspart Batteriespeicher und sorgt in Zeiten der von einem Smart-Meter intelligent gesteuerten Netzeinspeisung für größere Verdienstspannen, wenn es erst differenzierte Tarife gibt.

Graphik von Next2Sun, die ebenfalls Partner im Pillnitzer Projekt sind.

Auch hier gibt es Win-Win-Situationen:

  • Die landwirtschaftlich nutzbare Fläche bleibt weitgehend erhalten.
  • In den Reihen kann mit den gleichen Maschinen / der gleichen Pflegetechnik gearbeitet werden.
  • Im Gegensatz zu aufgeständerten Solardächern wird weniger technisches Konstruktionsmaterial eingesetzt.
  • Es gibt gegenüber Dachkonstruktionen geringere Verschattung der Pflanzen und keine Einschränkungen beim Niederschlag; damit erzielt man fast gleiche landwirtschaftliche Erträge.
  • D. h., eine Landwirt*in kann ebenso wie eine Waldbäuer*in, die über ihrer Aufforstung ein Windrad aufstellt, zusätzliche Einnahmen aus der Stromproduktion erzielen oder den Eigenbedarf decken.
  • Ähnlich den Knicks in der norddeutschen Landschaft können die Modulreihen die Bodenerosion verhindern.
  • Die Sichtachsen in der Landschaft werden nur unwesentlich gestört; von der Lohmener Str. zwischen Oberpoyritz und Pillnitz kann man über die Anlage hinweg noch immer ungestört bis Großsedlitz schauen, was demnächst beim IPO von Pirna aus nicht so sein wird.

Packen wir’s an!

Es gibt viel zu tun, bis wir 2045 klimaneutral sind.

 

Autor: Dieter Wiebusch

 

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